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Sprachlos in Straßburg


Am späten Dienstagabend bekam ich  -zig facebook-Nachrichten, Twitter-Meldungen, Mails und Chateinträge. In den nächsten Tagen ging es weiter, auch beim DLF-Hörerservice meldeten sich Arte-Zuschauerinnen und -Zuschauer. Es waren so viele Reaktionen wie nach keinem anderen „meiner“ Fernsehinterviews.

Das dürfte vor allem mit der vorangegangen Arte-Dokumentation "Gottes missbrauchte Dienerinnen" zu tun haben. Ein Film, der erst einmal sprachlos macht, der es aber verdient, im Gespräch zu bleiben. Man muss ihn mehrmals schauen, um zu verstehen, was da erzählt wird und mit wem sich jene anlegen, die nicht mehr schweigen. Die betroffenen Frauen sollten Sex mit dem geweihten Mann als Gnade empfinden, als besondere Form der Spiritualität, als göttliches Wirken. Ein Priester präsentierte sich als "kleines Werkzeug Jesu". Ein Foto ist zu sehen, auf dem Papst Johannes Paul II. den Gründer der Johannesgemeinschaft Marie-Dominique Philippe empfängt.  Die Vorwürfe gegen den Geistlichen wurden überhört, auch Kritik war unerwünscht. Der Papst schätzte brennend gläubige Katholiken mit Charisma.  Benedikt XVI., vormals als Präfekt der Glaubenskongregation mit dem Thema Missbrauch befasst, schickte 2006 zur Beerdigung Marie-Dominique Philippes ein triefendes Beileidstelegramm; der Erzbischof von Lyon Philippe Barbarin hielt die Trauerrede.

"Gottes missbrauchte Dienerinnen" ist auch ein Film über die Abgründe an der Kirchenspitze. Er müsste alles ins Wanken bringen:  das Machtgefüge, das Frauenbild, die lehramtlichen Aussagen zur Sexualität, die priesterliche Autorität, die Heiligkeit von Päpsten, das Gehorsamsideal der Orden und geistlichen Gemeinschaften.  Die französische Bischofskonferenz hat Empörung, Wut und Trauer kundgetan. Laut einer Meldung auf "katholisch.de" stellt die Familie des Gründers der Gemeinschaft vom Heiligen Johannes  in einer Gegen-Untersuchung „die psychische Verfasstheit eines der mutmaßlichen Opfer in Frage“. Alles beim Alten also, da wankt nichts. 

"Haben Sie darüber nachgedacht auszutreten?"

Sprachlosigkeit ist eine schlechte Voraussetzung für Interviews. Der Vatikan kann schweigen, Interviewte nicht. Die zehn Minuten Gespräch gehen mit den Themen  Kirchenrecht, Strafrecht, Zöibat und Frauenverachtung schnell vorbei. Zum Schluss stellte Arte-Moderatorin Annette Fies die eine Frage, die ich in letzter Zeit so oft gehört habe: "Haben Sie darüber nachgedacht auszutreten?"

Diese Frage war der zweite Grund für das hohe Mailaufkommen danach. 

Die meisten stimmen meiner wankenden Antwort zu, ein paar wenige korrigieren Details ("Man kann nicht aus der Kirche austreten, sondern nur aus der Körperschaft."). In keiner Zuschrift fehlte der Satz: "Der Film über die missbrauchten Nonnen hat mich aufgewühlt".  

Geschrieben haben Katholikinnen und Katholiken, die gerade ausgetreten sind, die das Austrittsdatum fest im Blick haben und die - wie ich - noch dabei bleiben, gerade weil sie in diesem System nicht mehr länger mitmachen wollen. Geschrieben haben Priester, die sich ihrer Kirche schämen und innerlich ihre Loyalität aufgekündigt haben. Geschrieben haben Atheisten, die Geldentzug für das wirksamste Mittel gegen Missbrauch halten.  

Ich werde alle Mails so schnell wie möglich beantworten, auch wenn ich keine schnelle Antwort darauf habe, wie sich der Missbrauch von Menschen und Macht verhindern lässt und wie sich noch auf Erden Gerechtigkeit für die Betroffenen einstellt. 

Sind wir nicht alle Kirche? 

"Sind wir nicht alle Kirche?" - ich mochte diese Suggestivfrage noch nie, jedenfalls dann nicht, wenn sie dazu dient, Hierarchie-Kritik mal eben mit der Illusion des großen Miteinanders aller Getauften und Gefirmten wegzuwischen. Ja, wir Geduldigen sind Komplizen. Aber: Nein, ich bin nicht diese Kirche, die sofort auf alles eine Antwort parat hat, aber von Verantwortung im Amt nichts wissen will. Genau diese Kirche ist Teil des Machtproblems.  

Wer schreibt, der bleibt, pflegte meine Oma zu sagen. Bleiben oder gehen? Ich bleibe erst einmal schreibend, redend, widersprechen, analysierend, konfrontierend. 

Eigentlich wollte ich nur sagen: Danke für Ihre Post. Wir bleiben im Gespräch. 


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