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Von Wolllust, Weibern und Wahrheit

Ende Juni 2019 bekommt Freiburg einen neuen Weihbischof. Während der Zeremonie demonstrieren vor dem Münster Vertreterinnen von Maria 2.0. Als der neue Hirte die Kathedrale verlässt, hat er ein Geschenk für die weiblichen Schafe dabei. Die Pressestelle des Erzbistums vermeldet danach stolz: „Vor dem Haupteingang segnete er die Teilnehmenden der Maria-2.0-Kundgebung und übergab ihnen einen persönlichen Brief ... sowie einen symbolischen roten Gesprächsfaden.“





Die Damen, wie Frauen in Situationen seelischer Erhebung gern abschätzig-wertschätzend genannt werden, brauchen viel Geduld. Statt eines roten Fadens erhalten sie gleich ein ganzes Knäuel. Dass der frisch Geweihte bei dieser Zeremonie sein weibliches Gegenüber fragt: „Ich bin der Christian und wer bist duhu?“, ist nicht überliefert. Erwachsene Frauen dürften lange darüber nachsinnen, wann sie zuletzt ein Kennenlernspiel mit Knäuel absolviert haben. War‘s im Kindergarten? Oder am Anfang einer Pastoralprozesschangemanagement-Fortbildung, als alle peinlich berührt kicherten? Die weihbischöfliche Wolllust ist gut gemeint. Demonstrierende Frauen kennt der Katholizismus nicht. Katholikinnen nehmen still und dankbar die für sie vorgesehenen Plätze ein.


Das große Topfschlagen


Die Knäuelübergabe wirkt zwar unbeholfen, sieht aber zugewandter aus als die Masche der Amtsbrüder. Weil Protestlerinnen – noch dazu in Marias Namen – nicht vorgesehen sind, übersehen die meisten Bischöfe sie angestrengt, wie Kinder, die sich die Hände vors Gesicht schlagen, wenn etwas Furchteinflößendes naht. Nur Franz-Josef Bode blickt der Gefahr regelmäßig ins Auge, während die Kollegen kneifen. Der Osnabrücker Bischof kann schon qua Sonderauftrag nicht wegschauen. Als Vorsitzender der DBK-Unterkommission „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ fallen weibliche katholische Wesen in seinen Zuständigkeitsbereich. Soziologisch genau beschreibt Christina Behler im „Kursbuch Revolte 2020“, was sich am Rande der Herbstvollversammlung 2019 in Fulda abspielt. Dort müssen Frauen so lange trommeln und pfeifen „bis vom angrenzenden Priesterseminar aus drei ältere Herren in schwarzen Anzügen – zwei mit Kollar-, einer mit Oratorianerkragen – auf rund 100 demonstrierenden Frauen zugehen“. Die „drei älteren Herren“ sind Franz-Josef Bode, Michael Gerber aus Fulda sowie der Essener Weihbischof Ludger Schepers. Sie trauen sich unter die topfdeckelschlagenden Weiber „als Zeichen des Dialogs“, notiert Behler.


Wenn Geweihte am Rande von Weihen und Geweihtenversammlungen Knäuel austeilen und Kritik einstecken, fällt Journalisten meistens die Überschrift ein: „Bischöfe gehen auf Frauen zu“, dazu die Stichwortzeile: „Kirche und Frauen“. Anders als bei Magazintiteln wie „Wild&Hund“ oder „Rute&Rolle“ wirkt das „und“ zwischen Kirche und Frauen mehr trennend als traut paarend. Allein die Aussicht auf ein Gespräch zwischen Weib&Hirt, Frau&Kirchenmann hat deshalb Nachrichtenwert. Nach einem Treffen zwischen dem Bischof von Fulda und Maria 2.0 teilt die episkopale Pressestelle mit: „Es war dem Bischof ein Anliegen, die Beweggründe der Frauen besser zu verstehen und mit ihnen in den Dialog zu treten.“ Sehnen sich protestierende Katholikinnen nach einem auf sie zugehenden Bischof? Haben Frauen es nötig, das Zuhören topfschlagend zu erbetteln? Was in Pressemitteilungen als Dialog bezeichnet wird, ist keiner. Ein Dialog wäre ein Gespräch unter Gleichen auf neutralem Gebiet, nach Regeln, die für alle gelten, über ein Thema, auf das sich alle Beteiligten verständigen. Wenn aufständischen Frauen überhaupt etwas zuteil wird, dann ein bischöflicher Gnadenerweis mit angeschlossenem Fototermin. Erwartet wird Lob für einen Bürdenträger, der sich mit Weibern abgibt, obwohl er sie ignorieren könnte.


Frau&Mann, Rute&Rolle, Wild&Hund


Aus amtskirchlicher Perspektive wickelt sich der Gesprächsfaden um die „Stellung der Frau in der Kirche“. Ein schiefes Bild, ich weiß. Aber bei diesem Thema geht ohnehin das meiste schief. Höre ich „Stellung der Frau“ muss ich an Oswalt Kolles Aufklärungsfilme aus den späten 60er Jahren denken. Die hießen „Deine Frau, das unbekannte Wesen“ und versprachen Ehepaaren die Erlösung von der Missionarsstellungs-Misere. Eine alberne Assoziation – und zugleich eine passende. Frauen sind noch immer große Unbekannte für weite Teile des Klerus. Je höher der Dienstgrad, desto fremder das Weib. Seit die MHG-Studie das Männerbündische problematisiert hat, können Bischöfe das lästige Stellungsthema nicht mehr ignorieren. Persönlich Stellung beziehen nur wenige, Feminist ist in der Bischofskonferenz keiner, man muss erst „lernen“, „zuhören“ und „nachdenken“.„Andere Wesen“ wurden Weiber lange genannt, sie weichen vom normsetzenden Mann ab. Theresia Heimerl hat dem Anderswesen ein Buch gewidmet. Die Religionswissenschaftlerin und Theologin erzählt stilistisch liebevoll von Dauerdemütigung, Kontrolle und Herabsetzung. Der Andersartigkeit liegt eine ausgiebige katholische Naturrechtsprechung zugrunde. Die Frau ergänzt den Mann: Er sendet, sie empfängt; er gibt, sie gibt sich hin; sie bekommt, was er übrig lässt. Wie Rute&Rolle fügen sich Mann&Frau zueinander.


Das hört sich selbst für geübte katholische Ohren gestrig an, doch die Una Sancta ist Naturrechtsschutzgebiet bis heute. Das lässt sich sogar folkloristisch attraktiv vermarkten. Im Kölner Dom, einer der meistbesuchten Kathedralen des Erdkreises, sorgen seit kurzem auch Domschweizerinnen für Ordnung. Sie tragen den gleichen roten Umhang mit schwarzem Samtsaum wie ihre männlichen Kollegen. Begründet wird die Innovation – ein Boulevardblatt schrieb sogar von „Revolution“ - mit einer kölschen Variante des Naturrechts. Der Dompropst erklärte: „Wir glauben, dass Frauen und Männer sich insgesamt in dieser Tätigkeit gut ergänzen würden, wie in den anderen Arbeitsbereichen an der hohen Domkirche: in der Sakristei, in der Schatzkammer, in der Turmbesteigung.“ Naturrecht heißt: Frauen nehmen sich nichts, sie nehmen nur an. Mit großer Geste wird ihnen gewährt, was sie nie verlangt haben. Sollte es je eine Domschweizerinnenbewegung gegeben haben, dann bewegte sie sich diskret. Verwehrt wird inmitten des Tamtams weiterhin, was Frauenbewegungen inner- und außerhalb der Kirche tatsächlich fordern: Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, freie Wahl statt fixierter Stellung&Rolle.


Würde heißt auch: Wie würde ich mich denken?


Giovanni Pico della Mirandola war kein Feminist, doch Ende des 15. Jahrhunderts formulierte er, was Würde unter anderem bedeutet: sich als Mensch in verschiedensten Möglichkeiten denken zu dürfen. Wer nur die Wahl hat zwischen einem Leben als Gattin oder Ordensfrau, als Mutter oder Jungfrau, lebt arm an Würde. Jahrhundertelang befand sich die katholische Kirche mit ihrer Geschlechterordnung in bester patriarchaler Gesellschaft: Die Vorstellung von der Frau als „missratenem Mann“ übernahm Kirchenlehrer Thomas von Aquin von Aristoteles. Er konnte sich die Geburt von Mädchen nur mit feuchten Südwinden zum Zeitpunkt der Zeugung erklären. Seine damaligen Leser dürfen nicht gelacht haben, solche Gedanken waren normal, dem Zeitgeist entsprechend. Aus den Worten und Werken Jesu lässt sich keine derartige Ungleichbehandlung von Frauen und Männern ableiten, erst recht kein Unterordnungsverhältnis.


Das Lehramt konstruiert zwar eine prophetische Sendung für die Frauen und eine apostolische für die Männer, doch die eindeutigen Beweise fehlen. Es gibt keinen Jesus-Satz der Sorte: „Ich aber sage euch, ihr Frauen dürft ausschließlich …“. Die frühen christlichen Gemeinden bieten ein widersprüchliches Bild: Paulus weist Weiber einerseits grob zurecht, andererseits lässt er freundlich Frauen in Leitungspositionen wie die „Dienerin“ Phoebe grüßen. Im Galater-Brief ist er sicher: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich, denn ihr alle seid einer in Christus.“ Sobald sich das Christentum organisieren musste, passte es sich dem patriarchalen Mainstream der umgebenden Gesellschaften an, überhöhte die Unterdrückung der Frau geistlich und erklärte rückwirkend die Geschlechterhierarchie zum gottgewollten Ursprungszustand. Das fiel so lange kaum unangenehm auf, wie Frauen auch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht aus der Rolle fielen. Als sie aber ihren angestammten Platz in Frage stellten, wurde auch die Männlichkeit der Rede wert.


Der Klerus wird maskulin und muskulös


2018 sprach ich auf einer Tagung über 100 Jahre Frauenwahlrecht in Stuttgart, eingeladen hatte der Geschichtsverein der Diözese. Nach meinem Vortrag wollte ein Historiker wissen, welches Geschlecht Kleriker früher hatten. Erst Lachen im Saal, dann Irritation. „Männlich natürlich!“, wäre die falsche Antwort. Die Männlichkeit des Klerus wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt. Dies hängt mit zwei Entwicklungen zusammen: Zum einen verabschiedeten sich Männer aus dem kirchlichen Alltag, die Basis wurde weiblicher. Zum anderen stellten Frauen die gott- oder naturgegebene Ordnung in Frage. Die Religionswissenschaftlerin Linda Woodhead legt in ihrem Buch „Geschlecht, Macht und religiöser Wandel in westlichen Gesellschaften“ dar, dass die Kirche in den Industriegesellschaften des 19. Jahrhunderts die Männer verlor, weil sie ihnen kein Sinnangebot mehr machen konnte. Den Männern kam im „stahlharten Gehäuse“ der Industriearbeit der „sakrale Baldachin“ abhanden. Den Frauen offerierte die katholische Kirche einen Sinngewinn: die „heiligen Familie“. Die Öffentlichkeit gehört dem Mann, das Heim der Frau. Auch das ist keine katholische Erfindung, in der Kirche erhielt diese Ordnung aber eine höhere Weihe. Wie Maria dem Herrn im Himmel diente, so diente die katholische Gattin dem Herrn im Haus. Für die Kirche hat das Folgen: „Da die Maskulinität von Kirche und Klerus infrage gestellt wird, werden in Reaktion darauf Rufe nach ,muskulöseren Formen‘ des Christentums laut, um die Männer und Jungen zurückgewinnen zu können“, schreibt Woodhead.


Die Gegnerinnen und Gegner der Priesterinnenweihe nehmen in der aktuellen Debatte für sich in Anspruch, die Tradition auf ihrer Seite zu haben. Das stimmt nur, wenn man Tradition auf das „muskulöse“ 19. Jahrhundert verengt. Blickt man auf die gesamte Geschichte, wird erkennbar: Kein „Argument“ wird durchgehalten. Damit alles beim Alten bleiben konnte, muss sich vielmehr das seit 1870 waltende Lehramt beständig Neues ausdenken: Jesus war ein Mann, die Apostel waren Männer, der Priester handelt in Persona Christi – die Ausschlussbegründungen werden wie eine Litanei wiederholt, als seien sie uralte Weisheiten. Doch so alt, wie sie scheinen sollen, sind sie nicht. Das zentrale „Argument“ gegen Priesterinnen war bis ins 20. Jahrhundert nicht die Männlichkeit Jesu und der Apostel, sondern die angebliche Minderwertigkeit der Frau. Als gottebenbildlich galt der männliche Mensch. Damit befand sich die katholische Kirche in ökumenischer Gemeinschaft.


Ein neues Geschlecht: der unfehlbare Mann


Eines der einflussreichsten Bücher zum Wesen des Weibes stammt nicht von einem Papst, sondern von einem Psychiater und evangelischen Theologen. Paul Julius Möbius dozierte 1900 „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Er befeuerte – mutmaßlich wider Willen - die publizistische Frauenbewegung. Die Schriftstellerin Hedwig Dohm konterte 1902 mit ihrem Buch „Die Antifeministen“. Die katholische Kirche erschuf 1870 ein neues Geschlecht: den unfehlbaren Mann.





Dem Emanzipationsdruck diverser Frauenbewegungen konnte sich dieser nicht entziehen. 1950 erklärte der Papst die Aufnahme Mariens in den Himmel zum Dogma. Linda Woodhead deutet den feierlichen Akt als Aufwertung: „Damit wird auch der Rolle der sterblichen Frau neue Würde zugeschrieben.“ Vorausgesetzt, sie bleibt keusch, bescheiden, mütterlich, fürsorglich und gehorsam. „Die Tugenden des Klosters werden also popularisiert und verhäuslicht“, folgert die Religionswissenschaftlerin. Wer diese Würde hat, hat keine Wahl. Die sterbliche Frau darf sich gerade wegen der Jungfrau Maria nicht in vielen verschiedenen Möglichkeiten denken. Papst Johannes XXIII. gewährte in der Enzyklika „Pacem in Terris“ 1963 der irdischen Frau ein Upgrade zum gleichwertigen Geschöpf. Das Zweite Vatikanische Konzil sagte mit „Lumen Gentium“ schließlich „jeder Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person“ den Kampf an. Jede Frau habe das Recht auf die freie Wahl des Lebensstandes sowie des Gatten, Bildung dürfe ihr nicht verwehrt werden.


Allerdings erklärt das Dokument „Gravissimum educationis“, dass in Erziehung und Bildung „der Verschiedenheit der Geschlechter gemäß der von der göttlichen Vorsehung bestimmten Zielsetzung“ Rechnung zu tragen sei. In der Theologie begann eine Diskussion darüber, was Gleichwertigkeit für kirchliche Ämter bedeutet. Die Päpstliche Bibelkommission tendierte mehrheitlich zu der Meinung, es spreche nichts gegen eine Zulassung der Frauen zu Ämtern. Doch die Glaubenskongregation entschied 1976: Es bleibt beim Nein. Die Männlichkeit Jesu und der Apostel stellt sie im Dokument „Inter Insigniores“ ins Zentrum.


Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde in Deutschland der Beruf der Pastoralreferentin geschaffen, von 1992 an durften Mädchen die Messe dienen. Am Platzanweiserverhalten von Päpsten und Präfekten gegenüber Frauen änderte sich nichts. Johannes Paul II. verfügte anno 1994, die Kirche sei nicht befugt, Priesterinnen zu weihen. Es war ein Machtwort im Ohnmachtsgestus. In der Sprache von „Wild&Hund“ heißt das an die Adresse der Frauen: Platz! Sitz! Still! In Richtung der Theologie lautete der Befehl: Apportiert dem Lehramt Stöckchen, sonst setzt es was. Frauen sind laut Lehramt gleichwertig, aber nicht gleichartig. Hätte ich einen Zeitschriftentitel zu erfinden, so wäre es: „Frau&Aber“. Johannes Paul II. meditierte ausgedehnt über den „Genius der Frau“, über die Fruchtbarkeit des Gebets und des Beckenbodens. Sein Nach-Nachfolger Franziskus singt Lobeshymnen auf Mütter. In seinen Anekdoten schmeißen sie den Laden und lassen Männer dämlich aussehen. Im apostolischen Schreiben „Amoris Laetitia“ ermahnt er - einmalig in der Kirchengeschichte - die Gatten zur Mithilfe im Haushalt. An der grundsätzlichen Diskriminierung ändert er nichts.


Was Gleichberechtigung ist, definieren wir


Richtig gelesen: Diskriminierung. Dieses harte Wort passt nicht zum Versprechen des Zweiten Vatikanums, es passt erst recht nicht in die Wollknäuel-Gesprächsfaden-Welt der Gegenwart. Der DBK-Vorsitzende Reinhard Marx erklärt in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ im September 2019 ebenso fest wie flauschig: „Das ist entschieden, auch wenn die Diskussion nicht zu Ende ist. Wir sollten uns deshalb darauf konzentrieren, wie Frauen in der Kirche stärker mitwirken können.“ Der Rivale aus Köln rühmt sich der einflussreichen Frauen in seinem engsten Führungsstab. Schon stehen jene, die sich für Gleichberechtigung zu allen Ämtern und gegen das große „Aber“ einsetzen, als Menschen mit Maximalforderung da. Die bischöfliche Maximalposition dagegen verschwindet unter dem Häkeldeckchen der Diskussionsbereitschaft wie ein hässlicher Fleck auf dem Wohnzimmertisch.


Freundliche Gesprächsfadenknüpfer kaschieren ihren Machtanspruch und meinen doch: Was Gleichberechtigung ist definieren wir! Jedem Gespräch über „Frauen und Kirche“ müsste eine Klärung der Definitionshoheit vorausgehen: Wer bestimmt, mit welchem Vokabular die Wirklichkeit beschrieben wird - die Kirche oder die Welt? Laut politikwissenschaftlicher, also weltlicher Definition bedeutet Diskriminierung: ein gruppenbezogenes Merkmal wird genutzt, um ein Individuum zu benachteiligen oder auszuschließen. Auf die römisch-katholische Kirche übertragen heißt das: Frauen können sich weder durch Begabung noch durch Theologiestudium für den Zugang zu Weiheämtern qualifizieren. Allein das gruppenbezogene Merkmal Geschlecht schließt sie davon aus, es gibt keine Prüfung ihrer individuellen Eignung.


Oft wird reflexhaft entgegnet: Männer haben doch auch kein Recht aufs Priesteramt! Richtig, niemand hat ein Recht auf einen bestimmten Beruf. Gleichberechtigung bedeutet, die Berufung von Frauen genauso zu prüfen wie die von Männern. Laut „Inter Insigniores“ werden Frauen nicht berufen. Was sie verspüren, kann nur ein subjektives Empfinden sein. Sie sitzen weltlichen Ideen von Emanzipation auf und haben die katholische Kirche noch nicht vertieft genug verstanden.Da ich nicht vorhabe, diesen vatikanischen Vertiefungsgrad zu erreichen, nenne ich den Zustand weiterhin Diskriminierung und nicht „auf einem guten Weg“ sein. Benachteiligung, Ignoranz, Arroganz, offene und verdeckte Ressentiments gelten keineswegs nur den wenigen Frauen, die Priesterin werden möchten. Die Verachtung hat System. Sie trifft nicht alle Frauen, aber sie meint alle.


Diskriminierung schrumpft zur persönlichen Verletzung


Das Wort „Diskriminierung“ löst innerkirchlich zwei Abwehrreaktionen aus: Die eine besteht darin, diese objektive Benachteiligung auf die Ebene der persönlichen Empfindlichkeit zu schieben. Initiativen wie Maria 2.0 und Bücher wie der „Weiberaufstand“ werden besonders lustvoll von Frauen verrissen. Diese beteuern dann: Ich werde nicht diskriminiert und das sage ich als Frau! Der Berliner Erzbischof Heiner Koch bekundete in der Sendung „Aspekte“ vom 15. November 2019 Verständnis für Frauen, die sich „verletzt fühlen“. Das klingt empathisch, heißt aber: Das System ist richtig, aber mit den Weibern stimmt etwas nicht, sie sind überempfindlich. So wird ein grober Webfehler zur pastoralen Masche umgestrickt. Gegenfrage ohne Pastoralsound: Wenn ein Mitglied einer diskriminierten Gruppe behauptet, nicht diskriminiert zu sein, ist damit die Diskriminierung widerlegt? In der Politologie, Geschichte und Soziologie gilt ein solcher Gedankengang nicht als intellektuell redliche Beweisführung, in der romtreuen Theologie schon.


Die zweite Abwehrreaktion verstrickt sich in noch mehr Widersprüche. Sie besteht darin, Diskriminierung nicht bloß zu leugnen, sondern Gleichberechtigung zu behaupten. Das geht dann so: Wir Frauen sind emanzipiert, wir nehmen den uns zugedachten Platz gern und selbstbewusst ein. Die Marienwallfahrt ist die wahre Frauenbewegung. Altötting ist die wahre Aufklärung. Die katholische Kirchenspitze hat das Kunststück vollbracht, zentrale Begriffe der Aufklärung erst zu bekämpfen, dann zu übernehmen und sie schließlich durch den Zusatz „wahr“ ins Gegenteil zu verkehren. Gleichheit heißt: gleicher Wert, gleiche Rechte. Wahre katholische Gleichheit heißt: gleicher Wert, ungleiche Rechte. Die katholische Kirche will das große G-Wort unbedingt haben, aber nicht die weitreichenden Konsequenzen tragen. Die „wahre Gleichheit“ ist keine. Wahre Gleichheit kommt ohne „Aber“ aus. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Punkt.


Solange dieser Satz im Namen einer höheren Wahrheit relativiert wird, sollte die römisch-katholische Kirche Vokabeln wie „gleichwertig“ und „gleichberechtigt“ aus ihren Dokumenten streichen. Ich habe der Debatte kein neues theologisches Argument hinzuzufügen. Ich schaue sie mir von außen an und staune, wie mit schwachen Begründungen ein stabiles Herrschaftssystem errichtet werden konnte. Ausgehend vom 19. Jahrhundert wurde ein roter Faden in die Vergangenheit gesponnen, den man erfinden musste, um ihn zu finden. In einem der wichtigsten Dokumente zum Thema, in „Inter Insigniores“, stehen Sätze wie: „Gewiss, diese Feststellungen bieten keine unmittelbare Evidenz. Man sollte sich darüber aber nicht wundern, denn die Fragen, die sich aus dem Worte Gottes ergeben, übersteigen die Evidenz.“


Wie Gott Mann wurde


Man solle sich nicht wundern… Ich wundere mich gerade deshalb. In welcher wissenschaftlichen Kontroverse würde ein Diskutant ernstgenommen, wenn er sagte: Die Behauptung ist nicht zu belegen, aber gerade das beweist die Richtigkeit der Behauptung? Die Argumente des Lehramtes sind, vorsichtig formuliert, angreifbar. Jesus hat niemanden zu Priestern geweiht, keine Frauen, aber auch keine Männer – und das, obwohl oder weil er diese Berufsgruppe aus dem Judentum kannte. Es ist kühn, zu verkünden, dass Jesus Ämter gewollt hat; verwegen ist die These, Jesus habe Ämter nur für ein bestimmtes Geschlecht gewollt. Jesus sprach von Nachfolge, nicht von Amt. Laut Lukas 14,33 legte er Wert auf Besitzlosigkeit und einfachen Lebensstil. Eigentumsverzicht scheint wichtiger als männliche oder weibliche Eigenart.


Papst Franziskus empfindet Schmerz, wenn er Priester in teuren Autos sieht, insofern hat er sich diese Passage des Lukasevangeliums zu Herzen genommen. Das Priesterinnenverbot hat in Rom einen nahezu dogmatischen Rang; das Gebot, einfach zu leben, fällt in die Kategorie „freundliche Empfehlung“. So geht Relativismus. Deutlich schlichter als der durchschnittliche klerikale Lebensstil fällt die Stringenz lehramtlichen Texte aus. Laut „Inter Insigniores“ und „Ordinatio Sacerdotalis“ handelt der Priester in persona Christi. Die Glaubenskongregation zitiert den oben erwähnten Galaterbrief, und schließt unbeeindruckt an: „Nichtsdestoweniger ist die Menschwerdung des Wortes in der Form des männlichen Geschlechtes erfolgt. Dies ist natürlich eine Tatsachenfrage; doch ist diese Tatsache, ohne dass sie im geringsten eine vermeintliche natürliche Überordnung des Mannes über die Frau beinhaltet, unlösbar mit der Heilsökonomie verbunden: sie steht in der Tat im Einklang mit dem Gesamtplan Gottes, wie er selbst ihn geoffenbart hat und dessen Mittelpunkt das Geheimnis des Bundes ist.“ Später heißt es zum Thema Offenbarung: „Durch diese Sprache der Schrift, die ganz von Symbolen durchdrungen ist und den Mann und die Frau in ihrer tiefen Identität zum Ausdruck bringt und erfasst, wird uns das Geheimnis Gottes und Christi geoffenbart, ein Geheimnis, dass in sich unergründlich ist.“


Warum die Glaubenkongregation nicht Plausibilitätskongregation heißt


Eine Evidenz, die alle Evidenz übersteigt, eine Männlichkeit, die unergründlich tief ist – man versteht unmittelbar, warum die Glaubenskongregation nicht Plausibilitätskongregation heißt. Wann immer eine argumentative Blöße aufscheint, wird sie mit dem Geheimnis des Glaubens bedeckt. Wer Nacktheit nackt nennt, muss fürchten, ohne Lehrerlaubnis dazustehen, erst recht nach dem päpstlichen Debattenverbot „Ordinatio Sacerdotalis“. Für den Ausschluss von Frauen führte Johannes Paul II. am Pfingsttag 1994 keine neuen Argumente ins Feld. Neu ist jedoch, welchen Rang er dem Ausschluss vom Amt zuweist. In seinem Buch „Dogma im Wandel“ beschreibt der Theologe Michael Seewald, wie ein allenfalls sekundäres Glaubensgut - eine Ämterregelung - zu einem primären aufsteigt. Wer das nicht glaubt, ist nicht römisch-katholisch. Ich glaube das nicht. Im Mai 2018 schiebt der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria, eine weitere Innovation nach. Im „Osservatore Romano“ schreibt er „Zu den Zweifeln über den definitiven Charakter der Lehre von Ordinatio Sacerdotalis“: „Der Priester handelt in der Person Christi, des Bräutigams der Kirche, und sein Mann-Sein ist ein unentbehrlicher Aspekt dieser sakramentalen Repräsentanz“. Christus wird immer männlicher, das entsprechende Recht immer göttlicher. Männlichkeit war bis dato EIN Merkmal von mehreren, durch Ladarias Artikel wird es qua Vorsehung zum „unentbehrlichen Aspekt sakramentaler Repräsentanz“.


Der Theologe Karl-Heinz Menke steigt schließlich noch eine Etage höher. Gott habe sich bewusst dagegen entschieden, in Gestalt einer Tochter Mensch zu werden, sagte er dem Kölner „Domradio“. „Natürlich kann man darüber spekulieren, ob Gott, wenn er gewollt hätte, nicht auch als Frau hätte Mensch werden können. Aber angesichts der Bedeutung der Geschlechterdifferenz für die Beschreibung des Verhältnisses Gottes zum Menschen ist eine solche Hinterfragung des Faktischen ein Zeichen für den Verlust des sakramentalen zugunsten des funktionalen Denkens.“ Gott ist also Mann geworden. Noch wichtiger: Er ist nicht Frau geworden. Begründet wird dieser Hormonschub nicht. Männer sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Ihre Eigenart ist noch geheimnisvoller als die des ihn ergänzenden Wesens.


Selbst ein theologisch versierter Bischof wie der Essener Franz-Josef Overbeck muss angesichts der höchstinstanzlichen Maskulinitäts- und Muskeloffensive passen. Dass die Weihefähigkeit an einem Y-Chromosom festgemacht werde, stimme ihn nachdenklich, sagte er der „Bild“-Zeitung. Gemäß der über alle Zweifel erhabenen Definition des unfehlbaren Lehramtes bin ich nicht römisch-katholisch, die Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland allerdings auch nicht. Laut zahlreicher Umfragen hält sie das für geboten, was Päpste und Präfekten mit steigender Verbindlichkeit verboten haben. Wahrheit könne nicht mit Mehrheit entschieden werden, lautet die römische Selbstimmunisierungsformel. „Rom“ hat sich bisher von theologischen Argumenten nicht umstimmen lassen. Nichts deutet darauf hin, dass die Kontroverse in Zukunft durch intellektuelle Überzeugungskraft entschieden wird. Wer sich in diese Debatte - die es seit 1994 nicht mehr geben dürfte - begibt, merkt schnell: Mit Theologie kommt man ihr nicht bei, Psychologie könnte helfen. Von einem mittlerweile verstorbenen Bischof ist das Zitat überliefert: Eher lernen Schweine fliegen, als dass Frauen geweiht werden.


"Wenn du als Priester mit einer Frau im Raum bist, achte drauf,

dass ein Möbelstück zwischen euch steht"


Mindestens so verhaltensauffällig wie ein solcher Spruch ist die Tatsache, dass Widerspruch ausblieb. Eine demonstrativ römisch-katholische Bloggerin belehrte mich gleich nach Erscheinen des „Weiberaufstands“: Frauen könnten Kinder kriegen, Männer Priester werden. Ich sah zunächst keinen Zusammenhang. An Gebär- und Penisneid hatte ich bis dato nicht gedacht. Die Frau als Unreine, Verführerin, Hexe, Hure, Hysterische – diese Klischees finden sich zwar in neueren lehramtlichen Texten nicht mehr, aber sie wirken noch. Frauen im kirchlichen Dienst erleben sie ständig. Verheiratete Pastoralreferentinnen der ersten Generation können davon erzählen, dass Priester sie wegen einer Schwangerschaft aus dem Dienst verbannten. Begründung: Der Gemeinde sei ein solcher Anblick nicht zuzumuten. Der Sex eines Ehepaares mag katholisch korrekt gewesen sein, sehen soll die Gemeinde das Ergebnis nicht, schon gar nicht in der Liturgie. Ein Priester mittleren Alters berichtete mir, als Kaplan habe er noch den Rat bekommen: Wenn du mit einer Frau im Raum bist, achte darauf, dass stets ein Möbelstück zwischen euch steht. Das ist lange her, aber unvergessen.


Ein immer noch beliebtes Fotomotiv zum Thema Zölibat stammt aus der Datenbank der katholischen Nachrichtenagentur KNA. Im Vordergrund steht ein Priester im Messgewand, im Hintergrund lauert - leicht verschwommen - die Frau. Das Weib schreckt in seiner Wollust offensichtlich weder vor dem geweihten Mann noch vor dem sakralen Raum zurück. Wenn sich das Ergebnis nicht ändert, wenn das Nein bleibt, bleibt auch die Frauenverachtung. Sie wird zwar nach außen nicht mehr gutgeheißen, aber nach innen toleriert, vor allem in Priesterkreisen. Mehr Frauen in Führungspositionen verändern die Atmosphäre, diese Quote ersetzt jedoch nicht eine Änderung der lehramtlichen Position. Pragmatismus kann nicht das doktrinäre Knäuel entwirren. Für eine Selbstkorrektur benötigt das Lehramt Souveränität. Macht reicht nicht. Souverän wäre, wenn Mutter Kirche und Heiliger Vater den Irrtum eingestehen könnten. Doch solche Souveränität gilt als Gefahr für die Autorität. In meinen Lesungen stelle ich, bevor es heiterer wird, die Position des Lehramtes dar. „Wozu muss ich das wissen?“, fragen Zuhörerinnen oft. „Was habe ich mit dem Papst und den Bischöfen zu tun?“


Nischenbewohnerinnen trifft Streiterin


Dann erzählen sie von ihrer Nische. Darin fühlen sie sich frei, selbstbestimmt. Sie warten nicht auf eine römische Autokorrektur. Das Lob der Nische gehört zur katholischen Konditionierung. Auch hier wird – wie beim Thema Quote – eine falsche Alternative aufgemacht: entweder Freiheit im Kleinen oder Freiheitskampf auf großer Bühne. Notwendig ist beides. Nischenbewohnerinnen und Streiterinnen sollten sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen. Viele Frauen haben sich nach demütigenden Erfahrungen mit Klerikern in einen Schutzraum zurückgezogen. Sie haben den Eindruck, ein Einzelfall zu sein. Doch mit dem herrschaftlichen Gebäude stimmt etwas nicht, vom Keller bis zum Überbau. Männer weisen Frauen ihren Platz zu, Männer legen den Bewegungsradius fest, Männer beanspruchen die Definitionshoheit über weibliche Identität und über den Identitäts-Dialog. Deshalb gibt es Millionen solcher „Einzelfälle“. Wenn ich Dokumente und Fundamente kenne, bin ich weniger allein. Linda Woodhead wundert sich in ihrem Buch darüber, dass es Katholikinnen so lange in der Kirche aushalten. Sie erklärt sich die Schafsgeduld unter anderem mit der Nische der Spiritualität. Gerade Frauen weichen dorthin aus. Nichts gegen gestaltete Mitten, handgestrickte Socken und Achtsamkeitsübungen im Geiste einer Hildegard von Bingen, doch auch hier stimmt die Alternative nicht. Geistliche Übungen sind das eine, eine geistige Auseinandersetzung mit dem Herrschaftssystem Kirche ist das andere. Notwendig ist beides.


Joseph Ratzinger warnte als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Schreiben von 2004 Frauen vor einer bestimmten „Haltung des Protestes“. Wenn die Unterdrückung durch den Mann zu stark akzentuiert werde, mache sich die Frau, „um wirklich Frau zu sein, zum Gegner des Mannes.“. Er befürchtet: „Auf die Missbräuche der Macht antwortet sie mit einer Strategie des Strebens nach Macht.“ Ratzinger kennt seine Katholikinnen gut. Sie schrecken nicht nur vor der Macht selbst, sondern schon vor der Frage danach zurück. Ein braves katholisches Mädchen erträgt nur schwer, wenn der Herr Pastor ihm böse ist. Professorinnen verwandeln sich in Kommunionkinder, sobald ein Kardinal den Raum betritt. Eine der meistgestellten Fragen aus dem katholischen Innercircle zum „Weiberaufstand“ lautet: Darf die das überhaupt?Die Benediktinerin Philippa Rath, eine wichtige Stimme, gibt in einem Interview mit der Zeitschrift „Frau&Mutter“ zu bedenken: „Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir die systemische Benachteiligung von Frauen über Jahrhunderte hinweg so verinnerlicht haben, dass wir uns zunächst einmal selbst aus alten Denkmustern und Verhaltensweisen befreien müssen.“ Manche Katholikinnen verhielten sich „devot und unreif“, wenn ein Priester oder ein Bischof in ihrer Nähe ist. Die Magd des Herrn hat noch nicht ausgedient. Während vom Willen Gottes und Willen Jesu ständig die Rede ist, macht die Kombination Wille&Maria erst langsam Karriere. Die feministische Theologie und nun Maria 2.0 haben das machtkritische Potential des Magnificat entdeckt. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron“. Der Machtdiskurs steht erst am Anfang: Zulassungsfragen sind Machtfragen. Türsteherposten sind Machtposten. Ein Nein zaubert dem Security-Man am Eingang der Diskothek mehr Genugtuung ins Gesicht als ein mariengleiches Ja. Die Türsteher bleiben auf Posten: 2016 hat auf Geheiß des Papstes eine Diakonninnenmöglichkeitskommission ihre Arbeit aufgenommen, zu einem Ergebnis kam sie nach mehreren Jahren nicht. Die Amazonas-Synode im Oktober 2019 erneuerte den Arbeitsauftrag. Die in Rom versammelten Bischöfe konnten sich nicht einmal dazu durchringen, Frauen ein Stimmrecht zu geben. Frauen werden behandelt wie gerade entdeckte, mutmaßlich gefährliche Wesen, wie Zeitgeistgespenster, die so schnell wieder verschwinden wie sie 1968 aufgetaucht sind.


Die Spinne im Glas


Jahrelange, knallharte Recherchen haben mich zu drei Erkenntnissen geführt: 1. Es gibt Frauen schon so lange wie Männer. 2. Es gibt so viele Frauen wie Männer. 3. Es gibt Frauen schon länger als Bischöfe.Bisher hat diese Thesen nicht einmal ein lehramtstreuer, von Rudolf Voderholzer persönlich empfohlener Theologie wie Josef Kreiml in seinem Buch „Die Rolle der Frau in der Kirche“ widerlegt. Man kann gesichert behaupten: Es gab genug Zeit, um Frauen kennen zu lernen, ihnen zuzuhören und über sie nachzudenken. Trotzdem katholisch zu sein bedeutet für mich, solange weiter zu fragen, bis hinter den fadenscheinigen Begründungen die wahren Gründe für die Ablehnung sichtbar werden. Ich bin keine Psychologin, aber meine bisherige Suche legt eine Arbeitshypothese nahe: Jesus, sein Wille und seine Wahl sind nur Chiffren. Dahinter stehen diffuse Ängste vor weiblicher Sexualität, vor Veränderung und vor Machtverlust. „Jesus wollte nicht“, „Gott will nicht“ – die ehrliche Version wäre: „Ich will nicht“. Auf einer Theologinnentagung erzählte eine Coaching-Expertin von einem Experiment, mit dem Frauen die Angst vor Spinnen abgewöhnt wird. Eine Spinne sitzt im Glas, der Deckel ist fest zugeschraubt. Die Frauen betrachten die Spinne aus sicherem Abstand. Der Deckel wird geöffnet, die Teilnehmerinnen können die Spinne berühren, vielleicht lassen sie das Tier über den Arm krabbeln. In der aktuellen Situation brauchen nicht die Frauen ein Coaching, sondern die beschlussfassenden Kleriker.


Das Weib ist die Spinne im Glas. Geweihte Männer schauen sie an. Man weiß nicht, was passiert, wenn der Deckel geöffnet wird. Deshalb bleibt das Glas verschlossen. Ein paar Männer denken darüber nach, ob Spinnen ungefährlich sein könnten. Andere sind sich sicher: Sobald sich das Glas öffnet, ist das Ende nah. Auf Katholisch klingen die präventiv ausgestoßenen Schreckensschreie so: Spaltung! Die evangelische Kirche hat Pfarrerinnen und die Kirchenbänke sind noch leerer! Die Weltkirche! Es gibt wichtigere Themen! Die Angst vor Frauen raubt den Verstand. Ich hätte da ein paar logikgetriebene Rückfragen: Die Gleichberechtigung von Frauen ist laut Lehramt würdig und recht. Frauen haben einen eigenen Wert, Sie müssen ihn nicht erst verdienen, indem sie die Kirchenbänke zu füllen. Wären volle Kirchen und niedrige Austrittszahlen das Maß für die Weihewürde, dann müsste der deutsche Episkopat geschlossen zurücktreten. Ist das gemeint, wenn die evangelische Kirche als Schreckbild herhalten muss? In vielen Ländern der Welt werden Frauen unterdrückt.


Fortschrittchen beklatschen


Wenn wahr ist, was in den eigenen Dokumenten steht und Frauen gleichwürdig sind, dann müsste die Leitung dieser global agierenden Institution daran etwas ändern wollen. Stattdessen nutzt sie das Unrecht, um den kirchenrechtlichen Status Quo zu rechtfertigen. Sie passt sich dem patriarchalen Zeitgeist an. Wahrheit scheint doch Mehrheit zu sein. Wenn die meisten Länder frauenfeindlich sind, darf der Vatikan es auch sein. Ist das gemeint, wenn die „Weltkirche“ herbeizitiert wird? Zum Thema des synodalen Wegs wurden Frauen erst auf den letzten Metern. Dass Gleichberechtigung als Maximalforderung auf der Strecke bleibt, ist absehbar. Frauen sollen sich hinten anstellen. Ist das gemeint, wenn wichtigere Themen angemahnt werden? Die Schriftstellerin Hedwig Dohm warf im Kampf um das Frauenwahlrecht ihren „Schwestern“ vor, viel zu brav zu sein. Anstatt dankbar jedes Fortschrittchen zu beklatschen, sollten sie zornig bleiben, solange ihnen ein selbstverständliches Recht vorenthalten wird, rät sie.Schwestern-Solidarität ist nicht zu erwarten.


Die Frage, ob weibliche Wesen sich hinter einem gemeinsamen Anliegen versammeln, ist so alt wie die Frauenbewegung. Vielen Katholikinnen ist Gleichberechtigung kein Anliegen, manche beziehen ausdrücklich dagegen Stellung und erklären es zur Gleichmacherei. Man müsse auch diesen Frauen zuhören, sagen Bischöfe. Das sei ihnen unbenommen, aber sie sollten beim beidohrigen Hören nicht die Asymmetrie übersehen: Die Gruppe, die an den bestehenden Verhältnissen festhält, verbaut den anderen eine Möglichkeit. Diejenige, die den Zugang zu allen Ämtern unabhängig vom Geschlecht eröffnet, erweitert die Möglichkeiten, ohne der anderen etwas wegzunehmen. Wer fürs Hochamtsgefühl einen Mann am Altar braucht, wird ihn auch weiterhin finden. Teile und herrsche ist ein erprobtes Prinzip, um Solidarität in der „Frauenfrage“ gar nicht erst aufkommen zu lassen. Geld spaltet. Als die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands 1999 Ämter forderte, drohte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Karl Lehmann, der Verband dürfe sich nicht mehr katholisch nennen. Will heißen: Er bekommt kein katholisches Geld mehr. Die kfd fügte sich und ließ im Papier eine Lücke. 20 Jahre später sympathisieren Teile des Frauenverbands mit Maria 2.0, manche distanzieren sich aus Angst vor Strafe öffentlich. Ein breites Bündnis von „Wir sind Kirche“ bis zum ZdK, von Frauen und Männern, von säkularen und kirchlichen Feministinnen bildet sich nicht.


Von Machtpanzerknackerinnen und Missbrauchspräventionsgeschöpfen


Für Simone de Beauvoir lautet die Frauenfrage: Was ist eine Frau? Die katholische Antwort ist: Das, was das unfehlbare Lehramt als Frau definiert. Die neue Frauenfrage lautet anders: Wie hältst du es als Frau in dieser Kirche aus? Die Antwort ist schwierig, gerade weil „Trotzdem“ keine billige Durchhalteparole sein soll. Ich bleibe zornig und nehme es sportlich. Ich suche die Konfrontation, die Analyse, die Schärfe. Dann wird sichtbar: Die entscheidenden Herren wollen nicht, ganz gleich, ob sie den Damen Stahl- oder Flauschwolle vorbeibringen. Immerhin: Auch Männer haken sich beim Weiberaufstand unter, einige Josefs schließen sich Maria 2.0. an. Immer mehr entziehen sich den Platzanweisern und ziehen offenen Protest der inneren Emigration vor. Auch ein paar Priester protestieren, Bernd Mönkebüscher, Burkhard Hose und Stefan Jürgens sogar in Buchform. Die frommen Frauen meiner Familie hätten niemals gewagt, ein kritisches Wort über ihre Kirche zu sagen. Sie glaubten, in demütig gebückter Haltung durchs Leben gehen zu müssen, weil das Dasein als weibliches Wesen per se sündhaft war. Weiblich zu sein bedeutete, schuldig zu sein. Priester, die Kinder, Jugendliche und Ordensfrauen sexuell missbrauchten, hatten hingegen kaum etwas zu befürchten. Ich möchte die MHG-Studie nicht instrumentalisieren, um den Forderungen nach Gleichberechtigung mehr Brisanz zu geben. Das entwertet die Anliegen von Betroffenen und die Forderung nach Gleichberechtigung.


Frauen sind weder Missbrauchspräventionsgeschöpfe noch Machtpanzerknackerinnen. Voneinander lösen lassen sich die Themen nicht, weil die MHG-Studie etwas ausgelöst hat: Viele ältere Katholikinnen demonstrieren zum ersten Mal in ihrem Leben, auch deswegen, weil sie ihre stille Treue bereuen. Ich hoffe, meine Oma wäre heute eine von ihnen. Die römisch-katholische Kirche ignoriert Begabungen, verachtet Wissen und verbietet sich Visionen. Sie hat sich an Frauen versündigt und versündigt sich weiter. Diskriminierung ist ihr harter, aber hohler Markenkern. Es ist hoffentlich nicht der Kern des Christentums. Wer braucht diese harte, hohle Kirche? Jungs, die unter sich bleiben wollen; Verunsicherte, die sich an eine natur- und gottgegebene Ordnung klammern. Ängstliche, die den Schmutz der Welt und das unreine Weib fürchten. Millionen Menschen in eben dieser Welt könnten etwas Anderes gut gebrauchen: eine Stimme, die solche Ordnungen erschüttert und mit Würde und Wert ernstmacht.


Die Kirche der Wolllust ist ein böser Witz.


Auszug aus: Trotzdem. Wie ich versuche, katholisch zu bleiben. Kösel 2020.

Als Vortrag an der Universität Freiburg am 9. Januar 2020: https://youtu.be/f1vLVxE2Ha0



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