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Der Auftragsmord


Wir haben zwei Kinder. Präziser: zwei Pubertierende, einen 13jährigen Sohn und eine 16 Jahre alte Tochter. Wir streiten entlang der Generationengrenze ziemlich oft. Eltern: Immer hängt ihr am Handy, nie räumt ihr eure Zimmer auf. Kinder: Dauernd habt ihr schlechte Laune, nie versteht ihr uns. Meine inneren Vorsätze – wenigstens einmal am Tag zusammen lachen, nie "nie" sagen und nie "immer" – schmelzen meistens dahin wie das Kokosfett, mit dem unsere Tochter vorzugsweise spätabends Lupinen-Würstchen anbrät. Familie, Mehr-als-Vollzeitjob, Weiberaufstand – das kostet Kraft. Trotzdem war es nicht gelogen, als mein Mann und ich bei unseren 50. Geburtstags-Feiern eine kleine Ansprache hielten, auf die Kinder zeigten und sagten: Da sitzt unser großes Glück. Die Pubertisten rollten mit den Augen, wir hatten Tränen in den Augen.

Die Schwangerschaften sind schon eine Weile her, aber der Moment bleibt unvergessen, als auf dem Ultraschallbildschirm zum ersten Mal ein pochendes Herz zu sehen war. Wer sich ein Kind wünscht, wer sich darauf freut, zweifelt nicht daran, dass das, was in der siebten, achten, neunten Woche auf dem Bildschirm zu sehen ist, ein kleiner Mensch ist. Dafür muss man nicht katholisch sein. Aber ich habe gut reden: Mit damals 33 Jahren, Redakteurinnen-Vertrag in der Tasche, werdenden Omas in der Nähe, und einer Partnerschaft nach dem Motto: Egal, was kommt, wir schaffen das – da ist es leicht, guter Hoffnung zu sein.

Anti-Abtreibungseifer: bevormundend, gnadenlos,  selbstgerecht

Die Freude über ein Kind ist nicht dröhnend, nicht triumphierend, so wie die Liebe zum Kind nicht dröhnend und nicht triumphierend ist. Kinder machen stark und verletzlich zugleich. Sie legen gnadenlos die eigene Inkonsequenz offen, sie zeigen einem, wie schwierig es ist, gerecht zu handeln, gelassen zu bleiben, Maß und Mitte zu finden. Polemik, Zuspitzung, Schärfe – in meiner publizistischen Arbeit beliebte Mittel – helfen bei Konflikten in der Familie gar nichts. Der Alltag mit Kindern ist nicht rosarot, er ist schon gar nicht grau. Er sensibilisert für Grautöne.

Schon deshalb habe ich die katholischen Anti-Abtreibungseiferer nie verstanden. Sie waren mir zu bevormundend, zu gnadenlos, zu selbstgerecht. Stets blieb der Verdacht, dass es ihnen weniger um Kinderfreundlichkeit geht als um Kontrolle der Frauen und Abrechnung mit dem Feminismus. Das Vokabular von „Babycaust“ bis „Kultur des Todes“, die Unterstellung, Frauen würden aus Life-Style-Gründen abtreiben, die Diffamierungen als Mörderin, Massenmörderin, kalte Killerin. So spricht keiner und keine, der und die menschenfreundlich, pardon: lebensfreundlich ist. Schon gar nicht ist das nein zur Abtreibung der einzige Ausweis gelebten Christentums.  

Kein Zwang zur Mutterschaft, aber auch kein Zellhaufen

Man muss nicht selbst schwanger gewesen sein, man muss nicht weiblich sein, um sich vorstellen zu können, dass die Nachricht, ein Kind zu erwarten, Verzweiflung auslösen kann. Verunsicherung. Angst. 

Ich halte es für falsch, eine Frau zur Mutterschaft zu zwingen. Genauso halte ich es für falsch, einen Embryo als „Zellhaufen“ zu bezeichnen. Ein moralischer Durchmarsch auf der einen oder der anderen Linie wird niemandem gerecht. Es gibt etwas abzuwägen: das Selbstbestimmungsrecht der Frau und das Lebensrecht eines Embryos.

Ein Papst neigt qua Amt zum moralischen Durchmarschieren. Er ist gegen Abtreibung. Immer. Das dass auch für Franziskus gilt, ist keine Sensation. Anders als Johannes Paul II. hat er jedoch selten darüber gesprochen, und wenn, dann meistens mit dem Bild der Wegwerfgesellschaft. Ungewollte Kinder sollten nicht wie Müll aussortiert werden, schreibt er sinngemäß in "Laudato Si".

Gegenüber Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, hat er Barmherzigkeit signalisiert: keine automatische Exkommunikation mehr, Absolution ist möglich, vorausgesetzt, sie bereut. Ein Liberaler ist er in diesem Punkt nie gewesen, aber er war deutlich weniger unterleibsfixiert als seine Vorgänger. Ein milder Macho. Immerhin. Ich konnte ihn mir gut als Ratgeber am Küchentisch vorstellen. Wäre ich in einer schwierigen Lage, mit so einem wie Franz könnte ich darüber reden, der würde nicht „Du Mörderin!“ raunen. Jetzt also doch: Auftragsmord. „Einen Menschen zu beseitigen ist wie die Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen“, sagte er bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz. Und weiter: „Aber wie kann eine Handlung, die unschuldiges Leben beseitigt, therapeutisch, zivilisiert und menschlich sein?“ Wenn Eltern die Diagnose einer schweren Behinderung ihres ungeborenen Kindes bekämen, bräuchten sie „wahre Nähe“ und Solidarität, um ihre Ängste zu überwinden, stattdessen bekämen sie sie hastige Ratschläge, die Schwangerschaft abzubrechen.

"Eine solche Entscheidung kann man nur treffen, wenn man es muss"

Vor gut einem Jahr sprach ich in „Tag für Tag“ mit Sandra Schulz, Spiegel-Journalistin und Autorin eines Buches namens „Das ganze Kind hat so viele Fehler“. Das Kind mit den vielen Fehlern – Down-Syndrom, Herzschwäche, zu viel Hirnwasser – geht mittlerweile in den Kindergarten. Ja, es gebe diesen Druck die Schwangerschaft abzubrechen, erzählte sie. In ihrem Buch protokolliert sie die Diagnosen, die Entscheidungen unter hohem Zeitdruck, die Gespräche, die mal niederschmetterten, mal bestärkten. Meine Freundin, Streiterin im alternativ-feministischen Milieu, hat vier erwachsene Kinder, darunter einen Sohn mit schwerer geistiger Behinderung. Sie ist gegen Bluttests für Schwangere. „Weil mein Sohn dann erst recht versteht: Mich soll es nicht geben, ich bin in dieser Gesellschaft nicht erwünscht.“, sagt sie. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Vater, ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes. Der Junge ist ungefähr so alt wie unser Sohn. Meistens wird er über seine Defizite beschrieben: Er spricht nicht, läuft nicht, sieht nicht, hört kaum. Der Vater sagte: „Wenn wir vorher gewusst hätten, was da auf uns zukommt, wir hätten uns gegen das Kind entschieden.“ In Julia Jentschs Film „24 Wochen“ über eine Spätabtreibung sagt die Hebamme einen Satz, wie ihn früher Franziskus hätte sagen können: "So eine Entscheidung kann man nur treffen, wenn man es muss. Die kann einem niemand abnehmen. Und niemand hat das Recht, sie zu verurteilen." Wer bin ich zu urteilen? Franziskus hat ein Mord-Urteil gesprochen. Die Paare bestellen, die Ärzte führen aus. So läuft ein Auftragsmord. Er hat auf dem römischen Hochsitz Platz genommen, er sitzt nicht mehr auf dem Küchenstuhl. Er hat sich auf die Seite der Eiferer geschlagen.

Aus dem Ratgeber wurde ein Rechthaber. Der Kirchenmann mit dem Sinn für Grautöne hat sich aus dem Staub gemacht, sein Gewand ist makellos weiß. Franziskus ist nicht mehr Gegenüber. Bloß noch Oberhaupt.

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