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Das Patriarchat grillt zurück


Impuls beim Frauentag der kfd in Essen.


Sie haben mich gebeten, an diesem Frauentag nicht über die römisch-katholische Kirche zu sprechen. Das finde ich vernünftig. Vor sechs Jahren habe ich an dieser Stelle gesprochen, das war kurz vor Veröffentlichung der MHG-Studie. Die Rede können Sie wiederverwerten, da hat sich nichts Wesentliches verändert. In der Straße, in der ich wohne, werden gerade neue Gas- und Stromleitungen verlegt. Da kommen Maschinen zum Einsatz, die das ganze Haus zum Wackeln bringen. Es rüttelt gewaltig, und danach ist die Erde fester als vorher. So ist das mit der bischöflichen Erschütterungserschütterungserschütterung. Die Bischöfe sitzen stabiler denn je auf Ihrem Stuhl. An dieser Stelle ein Gruß aus Essen ans Erzbistum Köln.


Der Generalvikar hat gerade erwähnt, dass es demnächst eine Finanzchefin im Bistum Essen geben wird. Ich bin schon so alt, dass ich im Stadium des Selbstzitats angekommen bin. In meinem Buch "Der Weiberaufstand" steht die Anekdote vom Bischof, der mich fragt: "Darf ich Ihnen meinen Frauenförderplan zeigen?" Da steht auch: Was dem Verführer von einst die Briefmarkensammlung war, ist dem aufgeschlossenen Bischof von heute der Frauenförderplan. Ich habe nichts gegen Förderpläne, aber sie sind kein Ersatz für Gleichberechtigung.


Jetzt aber zum gewünschten nicht-kirchlichen Teil.







Breitbeinig aufgestellt


Vor ein paar Tagen kursierte ein Foto von Markus Söder: Er trägt Drei-Tage-Bart, Lederhose, Kniestrümpfe und Trachtenjacke. Er ist breitbeinig aufgestellt.

Zu seiner Linken hat jemand Bierkrüge von Spaten-Bräu ordentlich gestapelt. Auf der anderen Seite, hinter Söder, steht ein Wies'n-Wirt mit Schürze. Ein Scheinwerfer setzt den Bayerischen Ministerpräsidenten ins rechte Licht.


Was ist die Botschaft? Offensichtlich ist wieder Oktoberfest in München. Und offensichtlich macht sich der männliche Mensch breit.


Eine weitere Bildmeditation über ein etwas älteres Foto aus dem Juni 2023. Markus Söder und Friedrich Merz haben es getwittert. Es zeigt die beiden mit Grillschürze, die eine mit CSU-Aufschrift, der andere mit CDU. Der Grill qualmt, beide Politiker haben einen Grillzange in der Hand, an deren Ende eine Wurst eingequetscht ist. Sie präsentieren ihre Trophäe mit lächelndem Stolz.




Was ist die Botschaft? Markus Söder schreibt dazu: „CDU und CSU ziehen an einem Strang und senden ein Zeichen der Entschlossenheit und Geschlossenheit. Danke für die gute Zusammenarbeit.“


Je länger die Bildmeditation dauert, desto mehr sehe ich darin. Weit über Parteipolitik hinaus: Der männliche Mensch macht sich ungestört von weiblichen Menschen breit. Frauen sieht man nicht auf dem Foto, wahrscheinlich machen sie hinterher den Abwasch. Er lässt sich weder das Grillen noch das Fleischessen verbieten. Die präsentierte Wurst hat allerdings etwas verbrutzelt Phallisches.


Wer sich diese beiden Fotos anschaut, kommt nicht auf die Idee, zu gendern oder den CO2-Ausstoß auszurechnen. Der männliche Mensch ist hier unter seinesgleichen und

offenbar auch ganz bei sich. Artgerecht gehalten.


CDU/CSU nennt man gemeinhin Schwesterparteien, aber sie präsentieren sich seit einiger Zeit als Bruderparteien. Re-Maskulinisiert nach den Merkel-Jahren. Von Angela Merkel kenne ich kein Foto, das sie mit Wurst am Grill zeigt.


Das Patriarchat hat die Hosen an, die Lederhosen.


Das Patricharchat grillt zurück!



Es geht um die Wurst


Denn es geht um die Wurst. Weniger symbolisch: Um die Gesellschaftsordnung. Ich möchte Sie einladen, in der nächsten halben Stunde ein wenig mit mir übers Patriarchat nachzudenken, auch über das Patriarchat in uns selbst.


Die CDU-CSU-Schürzenjäger sind ja nicht die einzigen. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren eine starke gesellschaftliche Liberalisierung erlebt, eine Pluralisierung von Geschlechterrollen. Nun erleben wir eine offensiv geforderte und geförderte Rückkehr traditioneller Rollenbilder. "Es soll wieder so werden wie...." gilt als politisch gewinnbringendes Versprechen. Wahlkämpfe setzen eher auf Retropie als auf Utopie.


Wobei Rückkehr das falsche Wort ist. Das Patriarchat war ja nie weg. Rache ist meiner Ansicht nach das treffendere Wort. Gerächt werden diffuse Kränkungen und gefühlte Verluste männlicher Privilegien.


Durchaus mit Erfolg kreieren konservative Männer mit Macht und Resonanzraum ein Feindbild. Sie tun so, als wollten durchgeknallte Weiber sie dazu zwingen, vegetarisch zu essen, Grüntee zu trinken und schmalbeinig zu stehen.


Dazu einige Daten: Vor einigen Tagen hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Ernährungsbericht vorgestellt. "Deutschland, wie es isst", so der Titel. Demnach legen 97 Prozent der Frauen Wert auf gesunde Ernährung im Vergleich zu 85 Prozent der Männer. Es gibt mehr Vegetarierinnen und Veganerinnen als Vegetarier und Veganer. Die Statistiken zeigen auch: Die Mehrheit der weiblichen Wesen verzichtet nicht auf Fleischliches und der Mehrheit der Männer ist ihre Gesundheit beim Essen nicht egal. Ja, es gibt Unterschiede, aber die sind nicht so gewaltig, dass sie eine politische Wurst-Notwehr rechtfertigen. Gleichwohl wird das Feindbild der grünen Veganer*in vom bedrohten Mann sorgsam gepflegt.


Die Wurst-Mannen tun trotz oder in bewusster Ignoranz statistischer Daten so - dabei sind Männer an sich vernünftig und zahlenbasiert -, als habe der Feminismus auf ganzer Linie gesiegt: auf dem Teller und in der Gesellschaft: Als würden sie in persönlichsten Entscheidungen bevormundet und müssten gegen ihre Entrechtun kämpfen. Als müssten sie für die Gleichberechtigung der Biertrinker und Wurstgriller aufstehen. Breitbeinig versteht sich.


In der Psychologie heißt das Übersprungshandlung: Reaktion auf eine Situation, die (noch) nicht eingetreten ist.


Diese wie eine Trophäe in die Kamera gehaltene Wurst im rein männlichen Setting bedeutet auch: Jetzt ist aber mal gut mit der Emanzipation der Weiber. Wer bestimmt, wann "es" mal gut ist, das ist eine zentrale gesellschaftspolitische Machtfrage.



"Frollein, zum Diktat!"


Konservative als Freiheitskämpfer – das finde ich schon aus biografischen Gründen interessant. Ein kleiner Exkurs in mein persönliches Patriarchat: Ich habe bei einer konservativen Wochenzeitung volontiert. Anfang Oktober 1996 hatte ich meinen ersten Arbeitstag beim Rheinischen Merkur, von 1998 an war ich dort Redakteurin. Damals war ich ein schüchterner Mensch, noch nicht die Autorin eines Buches namens "Weiberaufstand". Journalismus war von Teenager-Zeiten an mein Traumberuf und ich war glücklich, dass ich tatsächlich den Einstieg gefunden hatte. Feministisch wach war ich damals kaum. Dass kein weibliches Wesen in der Chefredaktion war, dass Frauen nicht die wichtigen Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Christ&Welt und Kultur leiteten, registrierte ich empörungsfrei. Was mir auffiel: Konservative bevormunden ganz gern Frauen.


Als junge Redakteurin z. B. hatte ich einmal einen sehr bekannten, vielfach preisgekrönten Journalisten am Telefon, der in fortgeschrittenen Alter für unsere Zeitung über islamisch geprägte Länder berichtete und immer mal wieder die dortige Unterdrückung der Frau kritisierte.

Als ich seine Stimme am Telefon erkannte, sagte ich: „Oh, guten Tag Herr XY.Er wusste nicht, wer ich war, fragte auch nicht danach. Er fragte nicht einmal, ob er im richtigen Ressort gelandet war. Im Befehlston sagte er: „Jetzt schreiben Sie auf, was ich Ihnen sage.“ Dann begann er, mir seinen Artikel zu diktieren. Frollein, zum Diktat!


Der weltgewandete Reporter konnte sich Frauen in Zeitungsredaktionen offenbar nur als Abschreibkräfte vorstellen, nicht als Redakteurin. Ich habe seinen Artikel jedenfalls nicht getippt. Ob er sich über die „junge Dame“ beschwert hat, weiß ich nicht mehr.


Als ich 2002 zum ersten Mal Mutter wurde, gratulierten mir konservative Herren aus der Chefetage zur "Vollendung meiner Weiblichkeit". Eine Frau ohne Kinder galt als unvollendet. Eine konservative Herausgeberin, Bestsellerautorin in den 1970ern, schickte mir zwei ihrer Bücher. Darin stand, dass eine Mutter keinesfalls berufstätig sein darf, sonst komme keine Bindung zum Kind zustande. Im persönlichen Gespräch malte sie Drohkulissen vom Töchterchen auf dem Straßenstrich. Die Tochter lande in der Gosse, während die Mutter Karriere macht. Da ich Christiane F. heiße, wie die berühmte Drogenabhängige vom Bahnhof Zoo, war das nicht ohne unfreiwillige Komik.


Drei Monate nach der Geburt arbeitete ich wieder Vollzeit als Kulturredakteurin. Dafür musste ich mich ständig rechtfertigen. Die gleichaltrigen Kollegen galten als verantwortungsvolle Jung-Väter, die ihre Familie ernährten, nicht als Rabenväter. Wenn ich gefragt wurde: „Wo ist denn das arme Würmchen, während Sie den ganzen Tag im Büro sind?“, habe ich nur noch gesagt: „Das arme Würmchen? Ach, das habe ich doch glatt vergessen! Gut, dass Sie mich daran erinnern.“ Es war irgendwann mir zu doof zu erklären, dass das Kind auch einen Vater hat.


Lange her. Aber noch nicht lange genug, um zu vergessen: Konservative – das waren doch diejenigen, die den Frauen, vor allem den Müttern, Vorschriften machten, die deren Radius absteckten, ihnen erklärten, wann sie gute Mütter waren, wann Rabenmütter und – damals ein sehr wichtiger Begriff - Karrierefrauen. Wenn eine Frau studierte hatte und in einem dementsprechenden Beruf arbeitete, war sie Karrierefrau. Einen Karrieremann als Schimpfwort gab es nicht.


Konservative, das waren auch diejenigen, die lange brauchten, um Vergewaltigung in der Ehe als Straftat anzuerkennen.


Grillzange bei Fuß


Dass sich nun ausgerechnet Konservative als Freiheitskämpfer gerieren, finde ich vor dem Hintergrund dieser jüngeren Geschichte geschichtsvergessen. Für die Selbstbestimmung der Frauen hat dieses Milieu nicht gekämpft. Aber jetzt steht man Grillzange bei Fuß, wenn der sich von Wurst ernährende Ernährer vom Diktat der Emanzen befreit werden muss.


Sie haben diesen Tag unter den Titel "Sisterhood" gestellt. Sisters können von solchen Brüdern der Schwesterparteien etwas lernen: Der sich bedroht fühlende konservative Mann schmiedet sofort Bündnisse. Brotherhood of man.


Von Sisterhood sind Frauen weit entfernt. Dabei geht es gerade für Sie – für uns – um die Wurst. Wir hätten allen Grund dazu, on fire zu sein, während die konservativen Herren es fröhlich qualmen lassen. Das Erreichte ist keineswegs sicher. Konservative sagen: Jetzt ist aber mal gut, alles Weitere - diesen ganzen Genderkram braucht kein Mensch. Rechte - Populisten wie Extreme - bekämpfen alles, was die ihrer Ansicht nach natürliche Geschlechterordnung aus der Balance bringt. Die Neue Rechte, also das geistige Umfeld der AfD, verbreitet Bilder im Stil der 1930er Jahre mit blonden, gebärfreudigen Frauen und muskulösen Männern.


Das Patriarchat war nie weg, es ist noch da, nur jetzt eben mit Schürze und – im rechtspopulistischen und rechtsextremen Bereich – mit strammem Scheitel.

Während wir jahrzehntelang dachten, es geht zwar langsam voran, aber es geht in Sachen Gleichberechtigung voran, sind wir jetzt in einer Situation, in der liberale Demokratien mit ihren emanzipatorischen Errungenschaften Zielscheibe von Wut und Hass sind. Alice Weidel, Marine Le Pen und Giorgia Meloni sehen sich nicht Teil einer emanzipatorischen Frauenbewegung.


Sisterhood fällt schwer


Als Patriarchat bezeichnet man eine Gesellschaftsform, die auf einer binären Geschlechterordnung beruht und die das männliche Geschlecht in verschiedener Hinsicht dem weiblichen überordnet: in Staat und Familie, im Recht (im Erbrecht) und im Habituellen.


Die Zeiten gendern sich. Was sich verändert hat, möchte ich nicht kleinreden: Der Mann ist nicht mehr das Oberhaupt der Familie, er muss nicht mehr sein Einverständnis geben, wenn die Ehefrau berufstätig sein will, wie das in Westdeutschland lange geboten war. „Wissen Frauen überhaupt, wie rechtlos sie sind?“ Das fragte eine der Mütter des Grundgesetztes, die SPD-Politikerin und Juristin Elisabeth Selbert 1949.

Unverheiratete Mütter gelten nicht mehr automatisch als verwahrlost, wie das noch in den 1960er Jahren war. Uneheliche Kinder kamen damals ins Heim, damit sie dort Sitte und Moral lernten. Tief verwurzelt war die Vorstellung, dass ihre Sündhaftigkeit an ihre Töchter und Söhne vererbt werde.


Diesen rechtlichen Änderungen gingen lange Debatten voraus. Artikel 3 des Grundgesetzes galt seit 1949, das Bürgerliche Recht zog in der Bundesrepublik sehr viel später nach. Die DDR hatte sich zwar von Anfang an Frauenrechte auf die Fahnen geschrieben, aber die sind wenig wert ohne allgemeine Bürgerinnenrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit usw. Der Film: „Guten Morgen, ihr Schönen!“ zeigt deutlich, dass in der DDR die Frau als Produktivkraft gefragt war, nicht als selbstbestimmtes Wesen.


Dass sich überhaupt etwas in diese Richtung bewegt hat, ist vor allem der Frauenbewegung zu verdanken. Korrekter: den Frauenbewegungen, im Plural. Man spricht von einer ersten im 19. Jahrhundert und der zweiten in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aber auch die erste und die zweite waren in sich kein monolithischer Block, es gab verschiedene Frauenbewegungen gleichzeitig.


Mit der Sisterhood war es schon damals schwierig, denn - banale Aussage - Frau ist nicht gleich Frau. Fabrikarbeiterinnen galten im 19. Jahrhundert als Gefährdung von Sitte und Moral, weil sie oft allein unter Männern lebten, in erbärmlichen Unterkünften. Sie verdienten weniger, die Arbeiterbewegung sah sie vor allem als lästige, weil billige Konkurrenz, die Männern - Ernährern - die Arbeit wegnahm. Bürgerliche Frauen waren aufs Dasein im Haushalt und auf Kindererziehung festgelegt. Wenn das Geld für eine Haushaltshilfe nicht reichte, mussten sie diese Arbeit selbstverständlich klag- und kostenlos erledigen, weil es ja keine Arbeit war.


Macht ist schmutzig


Alle waren diskriminiert aufgrund ihres weiblichen Geschlechts, aber wegen der sozialen Situation lagen die Prioritäten anders: faire Bezahlung, Schutzräume vor männlicher Gewalt, das Recht auf Abtreibung, freie Berufswahl, Zugang zu Bildung, zu Universitäten, zu guter medizinischer Versorgen. Wählen dürfen und gewählt werden zu dürfen … Es gab schon damals keine Einigkeit

unter Frauen darüber, was vordringliche frauenpolitische Anliegen sind. Allein das Wahlrecht war ein großer Streitpunkt, unter anderem deshalb, weil viele bürgerliche Frauen sagten, was viele Männer sagten: Die Politik ist schmutzig, Macht ist schmutzig – das passt nicht zu Frauen, da vermännlichen sie, dafür sind sie nicht bestimmt. Als Frauen dann in der Weimarer Republik im Reichstag saßen, war auch nicht klar, was Politik für Frauen eigentlich sein sollte. Es gab einige Errungenschaften, die ganze großen Diskriminierungen, etwa Familien- und Erbrecht,

wurden nicht beseitigt.


Zeitsprung ins Heute: Man kann nicht in einigen Jahrzehnten abstreifen, was über Jahrtausende gewachsen und gefestigt wurde, was entweder mit Gott erklärt wurde oder mit Wissenschaft.

Die Historikerin Mary Beard hat vor sechs Jahren ein Manifest veröffentlicht mit dem Titel Frauen&Macht“. Sie stellt dar, wie Frauen zum Schweigen gebracht wurden, keineswegs erst

durch die berühmte Bibelstelle der Paulusbriefe, "Das Weib schweige in der Gemeinde!", sondern weitaus früher. Die weibliche Stimme in der Öffentlichkeit galt als erotisch, als unvernünftigt. Sie lenkte die von Natur aus vernunftbegabten Männer vom Wesentlichen ab. Redete ein Mann Blödsinn, dann hatte ihn ein Weib um den Verstand gebracht. Diese Schuld- und Rollenzuweisung hielt sich lange. Die erste Feministin Olympe de Gouges sagte: „Die Frau hat das Recht das Schaffott zu besteigen, aber nicht das Recht, eine Bühne zu besteigen“. Sie starb 1793 auf dem Schafott.


Die Menschenrechte der Französischen Revolution waren Männerrechte. Eine Frau gehörte nicht in die Öffentlichkeit, sie sollte nicht öffentlich sprechen und sie dann doch endlich reden durfte, stellte sich die Frage: Für wen darf sie eigentlich sprechen? Für Männer, für alle, jedenfalls nicht. Aufgrund dieser Vorgeschichte fiel es Männern in Deutschland so schwer, eine Regierungschefin zu verkraften.

Frauen haben zu kleine Hirne, sind entweder zu dumm, zu emotional oder gleich hysterisch. Wenn ich so spreche wie jetzt, kann man das engagiert nennen. Aber bei Frauen gilt das als aggressiv . Charme, Knicks und Lächeln sind zwingend.


Ihr seid doch schon so gleichberechtigt


Das sind mächtige Erzählungen weiblicher Minderwertigkeit, die nicht so schnell verschwinden. und die wir weibliche Wesen verinnerlich haben.


Worin äußert sich das Patriarchat, abgesehen von saisonal grillenden Merz und Söders? Es zeigt sich vor allem darin, dass weithin auch außerhalb der Grillsaison signalisiert wird: Jetzt ist mal gut, ihr habt doch schon so viel erreicht. Was wollt ihr denn noch mehr? Es gibt Wichtigeres.


Die Journalistin Alexandra Zykunov hat ihr Buch genannt „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“. Wenn Sie es nicht kennen, lesen Sie es. Sie identifiziert all die Bullshit-Sätze, die immer nur das eine sagen: Jetzt ist aber mal gut, meine Damen! Werden Sie nicht unverschämt!


Ein Beispiel: Gesetzlich können Väter und Mütter gleichermaßen Elternzeit nehmen. Schaut man sich den Väterreport des Bundesfamilienministeriums an, dann sieht man reichlich verbale Veränderungsbereitschaft bei gleichzeitiger Verhaltensstarre. Fast zwei Drittel der Väter (63 Prozent) wünschen gleiche berufliche Chancen und die finanzielle Unabhängkeit beider Elternteile, ein Drittel nicht. Ebenso wünschen sich viele eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung, tatsächlich teilen sich 21 Prozent der Prozent der Väter die Erziehung mit ihrer Partnerin, weitere 10 Prozent übernehmen mehr Betreuung als die Mütter. Ein typischer Reflex ist: „Super, was

sich schon alles verändert hat.“ Aber das heißt auch: Bei fast 70 Prozent ist die Rollenaufteilung wie gehabt.

Die Mehrheit der Väter nimmt noch immer keine Elternzeit und wenn, dann nur wenige Monate. Wenn diese Väter Journalisten sind, schreiben sie ein Buch, warum der Wickeltisch in ihrem Leben ein größeres Abenteuer als der Achttausender war.

Es gibt Befragungen, weshalb Väter keine Elternzeit nehmen. Der Hauptgrund: Weil ihnen der Beruf wichtig ist und weil sie finanzielle Verluste befürchten. Das ist immer noch eine sozial akzeptierte Antwort, wohingegen Frauen mit schrägen Blicken rechnen müssen. Einer Mutter wird doch wohl nicht der Beruf wichtiger sein als das Kind! Bei der stimmt mit dem Gefühl etwas nicht!


Nun kann man sagen: Wie sich Paare die Kinderbetreuung aufteilen, ist Privatsache. Was soll daran falsch sein, wenn Frauen eine Zeitlang zu Hause bleiben? Eine Frau muss doch die Freiheit haben zu sagen: Ich bin gern Mutter und Hausfrau. Das ist ein beliebtes konservatives Argument. Stutzig macht mich, dass die angebliche Freiheit just dem entspricht, was als natürliche Bestimmung des Weibes seit Jahrhunderten behauptet wird. Zudem sagt laut oben erwähmten Report die Hälfte der Väter von kleineren Kindern (unter sechs Jahren), sie fänden es wichtig, dass Frauen für die Kinderbetreuung eine Zeit lang beruflich kürzertreten und dass Kinder in den ersten Lebensjahren vor allem von der Mutter betreut werden. Unter den Müttern ist aber nur knapp ein Viertel der Ansicht, dass die traditionelle Rollenverteilung die beste ist, Dreiviertel also nicht. Das heißt, dass viele Frauen ein Modell leben, dass sie gerade nicht als frei gewählt empfinden. Sie nehmen es hin, weil der Mann mehr verdient, weil es für ihn schwer wäre, Elternzeit zu nehmen, weil …


Ein gaaaanz toller Papa


"Wenn das Patriarchat kommt, dann sagt es nicht ›Achtung, ich werde dich unterdrücken‹, sondern es sagt: ›Toll, wie viel dein Mann dir zu Hause hilft", schreibt Alexandra Zykonov. Wahrscheinlich fallen Ihnen noch viele weitere Bullshit-Sätze ein. Alle haben gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass die Frau eine natürliche Bestimmung hat und der Mann Außerordentliches leistet, wenn er etwas von dieser für ihn unnatürlichen Bestimmung übernimmt. Ein gaaaaaanz toller Papa.


Für das alte Muster gibt es neue Wörter: Die Care-Arbeit und den Mental Load - wann muss das Kind zur nächsten U-Untersuchung? Wann schreibt es Mathe? Wann muss ich einen Kuchen fürs Schulfest backen? - sind höchst ungleich verteilt. Sisterhood der Frauen untereinander sehe ich bei diesem Thema nicht und was ich noch weniger sehe ist der Ehrgeiz, Männern klarzumachen, dass aus neun Monaten Schwangerschaft, aus der Fähigkeit zu gebären und zu stillen, keineswegs folgt, dass Frauen eine eingebaute Putz-, Wickel- und Fütterfunktionen haben, zu deren Gebrauch sie lebenslänglich verpflichtet sind.


Care-Arbeit ist ein Thema, bei dem es um die Wurst geht: um Gleichberechtigung, um Unabhängigkeit, um Menschlichkeit, Wertschätzung und um Solidarität. Aber jede wurstelt sich so durch – während die grillenden Männer unbehelligt bleiben.


Wer von uns will schon noch sagen: Ich werde hier unterdrückt? Kürzlich sagte die Schauspielerin Meryl Streep, in Kabul habe eine Katze mehr Rechte als eine Frau. In vielen Ländern der Welt ist das so. Auch deshalb, weil Global Player wie die Weltreligionen die Unterdrückung stützen anstatt Machtgefüge zu erschüttern.


Aber Unterdrückung hier? Das scheint doch vielen von uns ein zu großes Wort. Wir hatten eine Bundeskanzlerin, jetzt haben wir eine Außenminsterin, unser Sender hat eine Programmdirektorin und eine Chefredakteurin – ich bin Abteilungsleiterin, trotz des Frollein-zum-Diktat-Journalisten von vor 25 Jahren. Unterdrückt? Nun wirklich nicht.


Ich betone das Folgende immer in Vorträgen über die römisch-katholische Kirche, es gilt aber darüber hinaus: Der Satz „Ich werde doch gar nicht diskriminiert“ wirkt entsolidarisierend. Emanzipation heißt: Möglichkeitsräume erschließen, auch dann, wenn ich selbst diese Räume nicht betreten möchte. Emanzipation heißt: Benachteiligungen beenden, die ich selbst nicht spüre.


Der hart arbeitende kleine Mann


Frauen sind überdurchschnittlich stark von Armut betroffen – weltweit, aber auch in Deutschland. Der aktuelle beliebte Diskurs über Menschen, die arm sind, ist auch frauenfeindlich. Frauen sind überdurchschnittlich stark von Hasskommentaren betroffen, Feminismus – allein das Wort – triggert rechtsextreme, sexistische Trolle.


Ich höre die gebildeten Stände schon mildernde soziologische Befunde herunterrasseln: Solche Kommentare schreiben Abgehängte, Männer aus dem Osten, aus Regionen, wo die Frau weggezogen und sich einen Wessi geangelt haben. Gendersternchen sind nur was für die Elite, da kann man doch verstehen, das der „hart arbeitende kleine Mann“ austickt, wenn er so einen Stuss sieht. Und überhaupt: Die Zusammhänge sind komplex, die Globalisierung, die Algorithmen, … Unterdrückung oder Benachteiligung von Frauen - nein, wirklich nicht, Frau Florin, das ist zu viel der Komplexitätsreduktion...


Es gibt ein krasses Missverhältnis zwischen den empirisch belegbaren Missständen, die ich hier angerissen haben, und der politischen Repräsentanz dieser Missstände. Um es zugespitzt zu sagen: Frauen sind derzeit politisch vor allem dann interessant, wenn sie Opfer von Männern mit Migrationshintergrund werden. Dann werden sogar ganz Rechte zu Feministen, aber nur dann. Die selbstverständliche Benachteiligung von Frauen ist keine Frauenbewegung mehr wert, aber erst recht keine Männerbewegung.



Über die Gewalt oder Warum ich das Wort "starke Frau" nicht mehr hören


Der durchschnittliche Mann ist einer durchschnittlichen Frau an Körperkraft überlegen, er ist in dieser Hinsicht stärker. Mein Mann entgegnet an dieser Stelle immer: Und was ist mit Regina Halmich? Über diese Rückfrage können Sie heute Nachmittag meditieren.


Der Kraft-Unterschied ist sehr folgenreich. Frauen sind deutlich häufiger Opfer männlicher Gewalt als umgekehrt. Elisa von Hof, Spiegel-Redakteurin, schrieb kürzlich an die männliche Leserschaft, warum sie keine Lust mehr hat, "besonders nett zu euch zu sein. Euch behutsam mitzunehmen. Vorsichtig zu erklären, was schiefläuft. Euch zu beschwichtigen, nein, nein, ihr sind ja nicht das Problem, die anderen Männer sind es. Ihr seid unser Problem, alle.“


Sie nannte einige Zahlen zu männlicher Gewalt gegen Frauen. Täglich versucht ein Mann in Deutschland, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. 155 Mal hat er es im vergangenen Jahr geschafft. Jede Stunde erleben mehr als ein Dutzend Frauen Gewalt in ihrer Partnerschaft. Wenn Männer Frauen Gewalt antun, dann sollte meiner Meinung nach die erste bis 100. Aufforderung an den Mann gehen: Hör auf!


Gerade das ist nicht selbstverständlich. Viele Appelle gehen an die Opfer: Wehr dich, besuch einen Selbstverteidigungskurs, mach dich zur potenten Frau.


Ich kann das Wort von der "starken Frau" nicht mehr hören. Starke Frau oder Powerfrau – das soll wohl Beachtung sichern, ist aber für mich ein Indiz dafür, wie tief das Patriarchat in uns selbst verankert ist. Es ist der krampfhafte Versuch, das Klischee vom schwachen Geschlecht zu kontern.

Aber haben wir das nötig, mit einem solchen Wort unseren Wert zu steigern? Müssen wir als Frauen stark sein, um gleichberechtigt zu sein? Müssen wir nicht, sollten wir nicht. Wir müssen uns nicht durch Power legitimieren, ebenso wenig wie durch Putz- und Abschreibkraft. Um es Oktoberfestkompatibel zu sagen: Mia san mia. Per se wertvoll.


In Frankreich steht gerade ein 71-Mann vor Gericht, der zuzugeben hat, dass er seine frühere Ehefrau betäubt und per Internetangebot zum Missbrauch und zur Vergewaltigung frei gegeben hat. 50 mutmaßliche Täter wurden identifiziert. Diese Männer sind ein Querschnitt der Gesellschaft, Handwerker, Akademiker, Väter, Ehemänner, Singles. Interessant ist, wie sie die Taten rechtfertigen: Sie hätten nicht gemerkt, dass die Frau betäubt war. Sie hätten gedacht, die Frau sei einverstanden, weil ja ihr Mann einverstanden war. Und das im Jahre 2024, 75 Jahre, nachdem in Frankreich Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ erschienen ist.


Wer so spricht wie ich jetzt, gerät natürlich schnell in den Verdacht, eine Männerfeindin zu sein, die alle Männer – wie es dann heißt – unter Generalverdacht stellt: alle Männer Gewalttäter, alle Männer potenzielle Vergewaltiger. Nein.


Aber alle Männer sollen sich damit auseinandersetzen.


Wie man sich damit auseinandersetzt, ohne sich auseinanderzusetzen, zeigt im "Spiegel“ der Redakteur Ralf Neukirch, in seiner Replik auf die Kollegin. In seinem Text verweist er auf männliche Gewaltopfer und das angeblich systemische weibliche Desinteresse daran. Er schreibt: "Es käme auch den Frauen zugute, wenn die Gesellschaft mehr Empathie mit männlichen Gewaltopfern hätte. Damit niemand auf die Idee kommt, auch Männern müsse geholfen werden, bedienen sich feministische Aktivistinnen eines wirkungsvollen Kunstgriffs: Dort, wo Frauen betroffen sind, diagnostizieren sie strukturelle Benachteiligung. Geht’s um die Männer, handelt es sich um individuelles Versagen.“

Dann erfahren wir noch, dass Jungs in der Schule benachteiligt werden. Neukirch wünscht sich, dass man "das alles" mit der Gewalt gemeinsam angeht, diesen Wunsch will ich nicht unterschlagen.


Einen Tag ohne


Sie schreibt so, er schreibt so. Und schon haben wir das Thema Patriarchat, Privilegien und Gewalt elegant abmoderiert, einen bedeutenden Unterschied eingeebnet, nämlich die Tatsache, dass die männliche Körperkraft gesellschaftlich bis heute sehr folgenreich ist.


Vielleicht kennen Sie das Lied von Bodo Wartke, auch ein Mann. Es heißt: "Einen Tag ohne":


„In einer Umfrage wurden Männer gefragt:

Was würdet ihr tun

Wenn es ein'n ganzen Tag lang keine Frauen gäbe?

24 Stunden lang

Hier ist, was die Männer geantwortet hab'n:

Ich würd den ganzen Tag lang in der Bude hocken

Und in Ruhe Games auf'm Computer zocken

Ich würde meine Freundin extrem vermissen

Und ohne schlechtes Gewissen im Stehen pissen

Ich würde mit den Jungs um die Häuser laufen

Und mich endlich mal wieder voller Freude besaufen

Wozu ich dann gepflegt eine Shisha rauch

Ich würd genau das Gleiche machen wie sonst auch


Daraufhin wurden dann die Frauen gefragt:

Was würdet ihr tun

Wenn es ein'n ganzen Tag lang keine Männer gäbe?

24 Stunden lang

Hier ist, was die Frauen geantwortet hab'n:

Ich könnte endlich anzieh'n, was ich will

Egal, wie körperbetont oder schrill

Und werde nicht mehr dumm angequatscht

Beim Tanzen begrabscht und angetoucht

Ich könnte im Dunkeln am Samstagabend

Rausgeh'n ohne Angst zu haben

Dass man mich auf offener Straße umringt

Mich bedrängt, vergewaltigt und dann umbringt


Ich dachte, wir Männer sollten das wissen, so schließt das Lied. Immerhin, das hat ein Mann geschrieben, noch dazu einer mit Witz. Nicht so ein verbissener. Wobei: Als verbissen gelten ohnehin eher Frauen, Männer werden als "beharrlich" belobigt, wenn sie nicht locker lassen.

Bodo Wartke zeigt: Es ist möglich, öffentlich als Mann mit Reichweite übers Patriarchat und die

Privilegien nachzudenken. Sogar über Gewalt.


Was folgt daraus für die Sisterhood? Sollen wir jetzt auch mit Schürze am Grill stehen und mehr eine Wurst in in die Kamera halten? Sollen wir zurückgrillen? Sollen wir uns einfach im Dirndl

vor die Söders dieser Welt ins Scheinwerferlicht drängeln? Die Älteren unter Ihnen dürften sich noch daran erinnern, dass der FPD-Politiker Rainer Brüderle einer Journalistin beim Blick auf/in deren Ausschnitt den folgenreichen Satz gesagt haben soll: "Sie könnten ein Dirndl auch ausfüllen". Powerfrau Birgit Kelle riet daraufhin Sexismusbetroffenen: "Dann mach doch die Bluse zu". So hängt alles mit allem zusammen....


Ein praktischer Vorschlag:

Hier ist gerade ein Chor aufgetreten. Wir könnten jetzt das Lied von Bodo Wartke einstudieren und nachher gemeinsam singen. Das wäre ein Anfang.


Noch schöner wäre, wenn Friedrich Merz und Markus Söder ihre Reichweite nutzten, das Lied meinetwegen am Grill stehend singen und davon ein Video über Instragram verbreiten?


Gerade ist das Treffen der Bischofskonferenz in Fulda zu Ende gegangen. Bei der nächsten Vollversammlung könnten auch diese Herren "Einen Tag ohne" aus voller Brust singen.



Meinen Sie, wir schaffen das?

Meinen Sie, die schaffen das?


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