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Ich bin es mir wert!


Statement beim Basistag der KfD Essen  15. September 1. Selbstwertgefühl ist Sünde Ich bin in einem rheinisch-katholischen Milieu aufgewachsen. Kirche war in der Familie immer ein großes Thema. Meine Eltern sangen im Kirchenchor, meine Mutter spielte Theater in der katholischen Frauengemeinschaft, meine Tanten besuchten in fast jeden Gottesdienst, jede Marienandacht und als sie in Rente waren, gingen sie zu jeder Beerdigung. Meiner Oma baumelte immer der Rosenkranz aus der Tasche der Kittelschürze. Die Kirche war für sie Heimat, Zufluchtsort, Maria war eine Art Freundin, die immer zuhörte. Meine Eltern nahmen mich mit in die Messe, wir saßen oben auf der Empore. Dort bewunderte ich den Organisten und lernte später auch Kirchenorgel. Ich machte Jugendarbeit, spielte Keyboard in Jugendmessen und organisierte Frühschichten. So wurde mir die katholische Kirche auch Heimat. Eine Idylle war sie nie.

Meine Oma war trotz ihrer sieben Kinder bis zu ihrem Tod noch Mitglied der Jungfrauenkongregation. Lustig, aber zugleich traurig, weil für sie Sexualität, auch die eheliche, etwas Schmutziges war, etwas, wofür sie sich schämte. Meine Tante war kinderlos und geschieden. Sie befürchtete, sie dürfe nicht zum „Mütterkaffee“ gehen, so hieß der bunte Nachmittag der katholischen Frauengemeinschaft, weil sie eben keine Mutter war. Sie durfte doch, aber sie litt unter dem Gefühl, minderwertig zu sein.  

Als ich aufs Gymnasium ging, allerlei kritische Bücher las und die frommen Frauen meiner Familie mit den Lese-Ergebnissen konfrontierte, warf ich meiner Oma vor, sie stütze mit ihrer Marienverehrung das Patriarchat. Da fürchtete sie ernsthaft um mein Seelenheil und legte –zig Rosenkränze ein.  

Was sie und ihre geschiedene Tochter kennengelernt haben, das war nicht der joviale Katholizismus, der so gern als „rheinisch-katholisch“ gepriesen wird. Was sie kennengelernt haben, das waren die moralischen Felsblöcke, von denen Franziskus in Amoris Laetitia schreibt: die Fragen im Beichtstuhl, wo denn Kind Nr. 8 bleibt, die Frage, warum meine Tante ihrem fremdgehenden Ehemann nicht vergeben und bei ihm bleiben könne. Ich bin es mir wert – speziell für Frauen hieß es viel zu lange: Diesen Satz darfst du nicht einmal denken. Du musst bescheiden sein, demütig, Opfer bringen, Rechenschaft ablegen. „Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld“ - ich sehe die frommen Frauen meiner Familie noch heute diesen Satz aus der Messe sprechen. Meine Mutter spricht ihn heute - speziell in dieser Woche - voller Wut aus. Schuldbewusstsein wurde allen Schäfchen eingeredet vom machtvollen Dorfpastor, weiblichen aber ganz besonders. 2. Wertsteigerung Ich bin etwas wert. Das haben mir natürlich meine Eltern vermittelt, aber auch meine Oma und meine Tante. Da meine Mutter berufstätig war, habe ich bei ihnen viel Zeit verbracht. Großen Anteil am Selbstwertgefühl hat meine katholische Schule, eine Ursulinenschule. Es war in den 70er Jahren nicht üblich, dass Mädchen – noch dazu ein Arbeiterkind wie ich – aufs Gymnasium gingen. Hausfrau, Ehefrau und Mutter mit Abitur – wer braucht das? Diese Frage gab es noch im katholischen Dorf. Eine unserer Nonnen, eine Mathematiklehrerin, sagte immer: „Mädels, verlasst euch bloß nicht auf einen Kerl“. Sie hatte ein scharfes Mundwerk. „Du nutzt nur unsere Böden ab“, ließ sie meine Freundin wissen, die sich mit Mathe schwertat.  Die Botschaft dieser Schule war: Ihr Mädchen könnt dasselbe schaffen wie die Jungs, ihr müsst euch nicht dafür rechtfertigen, wenn ihr Abitur macht, studiert und in einem Beruf arbeitet, der dieser Qualifikation entspricht. Ihr seid nicht weniger wert als ein Mann, auch nicht auf dem Arbeitsmarkt. Begriffen haben wir damals, dass so etwas wie Emanzipation im Katholizismus durchaus vorgesehen sein kann. In unserer Teestube der katholischen Landjugend dachten wir lange, dass sich die Kirche zwar langsamer verändert, aber dass sie sich verändert. Dass Frauen friedlich strickend den Altar erobern können. Auch deshalb, weil sich die Frauen veränderten, weil wir uns nicht mehr alles bieten lassen würden wie die Generation Kinder-Küche-Kirche. Das habe ich lange geglaubt - bis ich die katholische Kirche besser kennenlernte. Das war relativ spät, nämlich 2010, als ich mich professionell als Journalistin mit Religion und Kirche befasste. Vorher war ich ich Hobby-Katholikin, dann wurde ich Leiterin von Christ&Welt in der ZEIT und damit hauptberufliche Beobachterin. Gleichwertig, aber … Mir fiel als Journalistin auf, was ich als Katholikin schon lange nicht mehr bemerkt hatte: dass Würdenträger erst die Männer begrüßen. Dass Laien fragen, wo denn mein Chef ist. Dass bei einer Synode zu Ehe und Familie nur Männer stimmberechtigt sind. Dass Bischöfe, die sich ein bisschen liberal geben wollen, sagen: Man muss noch einmal über die Frauenfrage nachdenken. Frauen, so meine achtjährige Erfahrung, sind eine Gattung Mensch, der man in der katholischen Kirche von Amts wegen mit äußerstem Misstrauen begegnet. Ihr Gefahrenpotenzial wird seit 2000 Jahren gründlich untersucht und diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Manche sagen, Frauen gebe es erst seit 1968, sie seien so eine Zeitgeist-Erscheinung, die gehe auch wieder weg. Manche behaupten, es gab sie schon beim Zweiten Vatikanischen Konzil, was in der katholischen Kirche immer eine beruhigende Wirkung hat. Die Frau galt lange als das andere Wesen. Anders als was oder wer? Als der Mann. Die Norm ist der Mann, die Frau ist die Abweichung. Frauen werden entweder auf- oder abgewertet, sie ziehen nie gleich. Thomas von Aquin, immerhin ein Kirchenvater, hat sich die Entstehung von Mädchen nur damit erklären können, dass zum Zeitpunkt der Zeugung ungünstige, feuchte Südwinde geweht haben. Kirchenvater Augustinus hat sich Gedanken darüber gemacht, wozu es diese lästigen Weiber überhaupt geben muss. Er kam zu dem Schluss: Kinder können sie immerhin kriegen, als Freunde und für die Feldarbeit taugen sie nichts. Die aktuelle Sprachregelung in lehramtlichen Dokumenten heißt: Die Frau ist gleichwertig, aber nicht gleichartig. Hauptsache Artig. 4. Wertig und Artig Wie eine Frau zu sein hat, definieren Männer. Männer – geweihte Männer – wissen viel besser, was Frauen wollen sollen als Frauen selbst. Deshalb weisen Männer Frauen ihren Platz in der Kirche zu. Mutter oder Jungfrau, dazwischen kann SIE sich immerhin entscheiden. Männer zirkeln den Radius ab, in dem Frauen sich bewegen dürfen. Verlassen sie diesen Kreis, sind sie keine wahren katholische Frauen.  Als Beispiel ein Schreiben von Joseph Ratzinger von 2004 - wohlgemerkt nicht von 1904 oder 1004. Es behauptet im Titel, sich mit der Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen in der Kirche zu beschäftigen. Tatsächlich handelt es nur davon, wie Frauen vor sich selbst geschützt werden können. Die anderen Wesen werden gewarnt: vor dem Genderismus, vor Machtkämpfen, vor der Vermännlichung. Frauen dürfen nicht fordern, sie dürfen sich nichts nehmen, sie dürfen nur annehmen. Als die kfd 1999 Ämter forderte, wie war die Reaktion der Kirchenmänner? Dann dürfe sich der Verband eben nicht mehr katholisch nennen, sagte der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz Lehmann. Er drohte mit Geldentzug - und die Forderung verschwand aus dem Papier.

Nun mögen Sie sagen: Aber es hat sich doch seitdem vieles verändert, es gibt Theologieprofessorinnen, es gibt Frauen in Leitungspositionen. Ja. Aber der Grundgestus bleibt. Im günstigsten Fall trifft die katholische Frau auf ein gönnerhaftes Gegenüber, das fragt: Darf ich Ihnen meinen Frauenförderplan zeigen? Was dem Verführer von einst die Briefmarkensammlung war, ist dem aufgeschlossenen Bischof von heute der Frauenförderplan. 5. Bescheidenheit ist eine Zier Auch in meinem Poesiealbum stand noch der Spruch „Sei wie das Veilchen im Mode, bescheiden sittsam und rein“. Vermutlich ist mein Buch Weiberaufstand eine Folge dieses frommen Wunsches. Mehr als das Weib im Titel provoziert der Untertitel: Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen. Katholische Frauen sind immer vorneweg, wenn es darum geht zu betonen: Uns geht es nicht um Macht, uns geht es um das Miteinander. Kirchenmänner warnen Frauen ausdrücklich vor Machtgedanken. In der Kirche gebe es auch für Männer nur Dienst und Demut, sagen sie. Was die Priesterweihe mit Macht zu tun hat, sehen wir ganz besonders in diesen Tagen.

Der „Weiberaufstand“ ist nicht allein ein Plädoyer für die Priesterinnenweihe, es ist eines für Gleichberechtigung. Ein Widerwort zum Platzanweiserverhalten. Wenn ein aufgeschlossener Bischof den Titel und den Untertitel sieht, dann fragt er zurück: Warum muss es denn unbedingt das Priesteramt sein? Frauen können doch hier bei mir Referatsleiterin werden. Viele Frauen, die um ihn herumstehen, nicken. Wahrscheinlich nicken jetzt unter Ihnen viele: Ja, genau, wir haben doch unseren Bereich gefunden. Es gibt unterschiedliche Charismen, wir sind zufrieden und wollen die Weihe gar nicht. Ich antworte dann mit einer Gegenfrage: Warum soll es denn nicht die Priesterweihe sein? Warum so bescheiden? Das frage ich nicht zurück, weil ich selbst Priesterin werden möchte, sondern weil in den Argumenten gegen die Weihe eine Diskriminierung aller Frauen zum Ausdruck kommt. Warum wird zum Bespiel behauptet, die Berufung hänge vom Geschlecht ab? Diese Frage ist so alt wie die Kirche selbst. So alt, dass Männer wie Augustinus, Thomas von Aquin und Bonaventure sie schon im Mittelalter mit nein beantwortet haben. Der Grund: Frauen sind nicht so gottesebenbildlich wie der Mann. Frauen sind also minderwertig. 

Erst als das nicht mehr sangbar war, wurden jene theologischen Argumente nachgeschoben, die bis heute unablässig wiederholt werden: Jesus hat nur Männer berufen! Der Priester verkörpert die Person Christi! Die Apostel haben auch nur Männer berufen! Dazu kommt die Verpflichtung zum Gehorsam: Johannes Paul II. hat 1994 die Tür abgeschlossen und den Schlüssel dreimal herumgedreht. Auch der ökumenische Betäubungssatz schlechthin fehlt nie: Die Protestanten haben die Frauenordination, bei denen sind die Kirchen noch leerer. Wer daran immer noch rüttelt, wird entweder mit der Weltkirche ruhigstellt oder mit dem Satz: Es gibt weiß Gott Wichtigeres.

Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen: Es gibt immer Wichtigeres als die Frauen. Das Beten für Priesternachwuchs, die Frage, ob Jesus nun für viele oder für alle gestorben ist - alles wichtiger. Sie finden keinen hochrangigen Mitstreiter in dieser Frage, das Maximum der Solidarität ist Nachdenkensbekundung bei gleichzeitiger Verhaltensstarre. Und nie fehlt der Satz: Diskriminiert werden Sie doch nun wirklich nicht! 

Mit anderen Worten: Wer Gleichberechtigung fordert, ist egoistisch, egozentrisch, vergisst die wirklichen Probleme auf der Welt. Kleriker gehen durchaus in Auseinandersetzungen, denken Sie an die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, an die Kommunion für Protestanten. Aber Frauen sind nicht so viel wert, dass zum Beispiel in der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ernsthaft über Gleichberechtigung gestritten würde. Frauen machen ja keinen Druck. Sie machen die Arbeit. 6. Mit dem Heiligen Geist abgespeist Ich bin es mir wert – das erbärmliche argumentative Niveau der Priesterinnenabwehr zeigt: Mit uns kann man’s ja machen. Ich habe die Begründungen gerade genannt und frage mich, warum wir uns damit abspeisen lassen. Kürzlich hat der Präfekt der Glaubenskongregation einen Artikel im Osservatore Romano geschrieben und behauptet, die Männlichkeit Jesu sei ein unverzichtbares Wesensmerkmal der Sakramentalität. Und außerdem wirke der Heilige Geist seit 2000 Jahren, Priesterinnen seien da nicht herbeigeweht worden. Der Widerspruch fiel mau aus. Intellektuelle Unredlichkeit kombiniert mit hoher lehramtlicher Verbindlichkeit - das ist der Normalfall, das fällt kaum noch auf, das wird hingenommen. 

Wenn in Äußerungen des Lehramts vom Heiligen Geist die Rede ist, wird verschwiegen, welche Gedanken sonst noch herumgeistern: die Frau als Verführerin, als Unreine, als diejenige, die den Mann um den Verstand bringt. Da verwirbeln sich theologische, historische, machttaktische und psychologische Gründe und Begründungen. Unverzichtbares Wesensmerkmal der Sakramentalität - das heißt, die Nicht-Weihe von Frauen gilt als katholisches Identitätsmerkmal, als Markenkern. In manchen Kreisen sieht es so aus, als habe sich Jesus allein deshalb kreuzigen lassen, um Priesterinnen zu verhindern. Ehrlichkeit und Redlichkeit in der Argumentation wären auch ein Zeichen von Wertschätzung. Nicht immer Jesus und seine Jünger vorschieben, sondern ehrlich sagen: Wir Jungs wollen unter uns bleiben. Welche Ängste Frauen bei Klerikern auslösen, dazu finden Sie einiges bei de Beauvoir, so gut wie nichts in kirchlichen Schriften. Eugen Drewermann hat etwas dazu geschrieben, sein Schicksal ist bekannt. 7. Fleißkärtchen Mädchen bekamen einst Fleißkärtchen, im katholischen Kontext waren das Heiligenbildchen. Frauen, das ist nicht nur in der Kirche so, versuchen oft Wertschätzung zu bekommen, indem sie fleißig sind. Das fleißige Lieschen – nicht umsonst ein Frauenname. „Der fleißige Ludwig“ ist kein geflügeltes Wort. Die unter dem Kreuz weggelaufen sind, die Jünger, bekommen das Amt. Die unter dem Kreuz ausharrten, das Ehrenamt. Als Dank gibt es ein Lächeln vom Herrn Pastor, vielleicht eine freundliche Erwähnung in der Messe. 

Aber Fleiß ist meist das Gegenteil von Einfluss. Gerade Theologinnen haben fleißig Beweise herangeschafft, wie wichtig Frauen im Leben Jesu und in der Kirchengeschichte waren. Fast immer geht es um starke Frauen, um besonders kluge Frauen. Endlich steht aufgrund solcher Forschungen nun auch in der Einheitsübersetzung die Apostelin Junia. Ich möchte diese Arbeit nicht abwerten. Aber: Das ist der falsche Weg. Frauen müssen nicht beweisen, dass sie besser, spiritueller, seelsorgerlicher sind als Männer. Sie müssen auch nicht beweisen, dass sie die Kirchen wieder voll bekommen. Wenn Priester oder Bischöfe die Legitimität ihrer Berufung mit Zahlen belegen müssen, dann käme der Klerus in noch größere Rechtfertigungsnot. Die Mehrwertfrage „Was bringen denn Priesterinnen?“ ist entwürdigend, entwertend. Frauen brauchen auch nichts Eigenes, kein katholisches Jodeldiplom in Gestalt eines Diakoninnenamtes, das nicht dem männlichen gleichgestellt ist. 

Frauen dürfen sich nichts nehmen, sie dürfen nur annehmen. Ein Kompliment, ein Ämtchen, etwas, damit sie Ruhe geben. Wenn Sie an einem Thema dranbleiben, wenn Sie einer Sache auf den Grund gehen, dann gelten Sie als verbissene Kampfhenne. Wenn ein Mann dasselbe tut, ist er kein Kampfhahn, dann gilt er als unbeugsam, willensstark und beharrlich. An Männern wird nach wie vor anderes wertgeschätzt als an Frauen. In der Kirche heißt das Drohbild: Frauen, die etwas fordern, vermännlichen. Sie fallen aus der Rolle, sind von der Rolle. 8. Die Kirche in mir Was ist an dem Satz: „Frauen sind gleichberechtigt zu allen Ämtern und Diensten zugelassen“ so schwer? Warum wird er auch 2018 von keinem „Gottesmann“ mit lehramtlicher Autorität ausgesprochen? Weil es katholische Frauen ihrem unwilligen Gegenüber einfach zu leicht machen. Frauen seien für die Harmonie zuständig, sagt Franziskus. Sie halten den Laden zusammen. Frauen sollen friedlich sein, nicht streiten und kämpfen, sagte mir eine Frau aus dem Publikum des diesjährigen Katholikentages bei einer Diskussion. Eine junge Theologin schrieb auf meine Frage, warum sie nicht für die Gleichstellung einsetze: Sie wolle gar keine Ämter, damit beteilige sie sich an einem männlich dominierten System, das sie für falsch halte. Man kriegt das Mädchen aus der Kirche, aber nicht die Kirche aus dem Mädchen, sagt meine Freundin oft. Sie ist mit 18 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Was meint sie damit? Es ist der Gedanke, dass Frauen bitteschön bittend aufzutreten haben, dass sich ihr Wert nach dem Wohlverhalten bemisst. Bitten ist weiblich, Fürbitten sind Weiberkram  in der Liturgie. Die Mitarbeiterin eines Verbandes – es war nicht die KfD - , sagte mir: Ich halte mich für emanzipiert, aber im Grund meines Herzens ist da immer noch das Gefühl: Wenn du einem Kleriker widersprichst, dann tut sich das Tor zu Hölle auf. Meine Mutter, auch emanzipiert, guckt bei ihren Theatervorstellungen immer noch, ob der Herr Pastor im Saal da vorn an Tisch 3 auch lacht oder ob er böse guckt. Eingeübt ist der Blick der Maria, demütig, bescheiden. 9. Mamma Mia, Maria „Denken wir daran, dass Maria wichtiger ist als die Apostel. Daher sind auch die Frauen in der Kirche wichtiger als die Bischöfe“, sagte Franziskus bei einer seiner Flugzeug-Pressekonferenzen. Johannes Paul II. hat allersüßeste Text über die Jungfrau und Mutter Maria geschrieben. Auf der Kommode meiner Großmutter stand ein Schnapsglas mit einer Kaffeebohne, bewacht von einer Plastikmadonna aus Lourdes. Einmal am Tag schraubte Oma das blaue Krönchen der Muttergottes ab, goss sich etwas Weihwasser - es war wirklich Lourdeswasser, kein Schnaps- ins Gläschen und trank. Sie wurde 83 Jahre alt. 

Als Schülerin besserte ich mein Taschengeld auf, indem ich in der Kirche Orgel spielte. Meine Mutter gab mir die Noten alter Marienlieder. Ich spielte sie während der Kommunion als meditative Einlage. „De Löck Sinn am kriesche“, sagte meine Mutter zufrieden beim Blick von der Orgelbühne hinunter. Tatsächlich weinten viele, wenn ich höchste Flötentöne anstimmte. „Segne du Maria, segne mich dein Kind“, „Es blüht der Blumen eine“, „Oh Maria, Gnadenvolle“. „Meine“ Messen wurden zur Hitparade der Volkskirchenmusik, Maria Helbig in fromm. So viel Kitsch lässt jeden ernsthaften Kirchenmusiker in Tränen ausbrechen. Ich war da schmerzfrei. Als ich zum Studium nach Paris ging, schenkte mir meine Tante, eine treue Lourdes-Besucherin, einen Rosenkranz. Maria sollte mich beschützen in der Stadt der Sünde, sagte sie.

Erst viele Jahre später habe ich mich ernsthaft gefragt, was diese Frauen - Oma, Tante, Frühmessenbesucherinnen - an Maria fasziniert haben mag. Für mich war in der Pubertät klar: Maria ist ein kirchenmännliches Ideal, erdacht, um Ja-Sagerinnen heranzuziehen. Sie war keusch, rein, unerreichbar. Dagegen mussten reale Frauen wie Versagerinnen aussehen. Während wir Jugendlichen uns allerlei Gedanken über das erste Mal machten, pries die Kirche eine Frau, die niemals, wie es in der Bibel hieß, einen Mann erkannt hatte. Wir diskutierten in der katholischen Teestube über Pille und Pickelcremes; die reine Magd mit makelloser Haut war etwas für alte Frauen. Ich teile die Ansicht von Sabine Demel und Renate Wind: „Mit der Dogmatisierung der unbefleckten Empfängnis Mariens ist ein männliches Herrschaftssystem perfektioniert, das als Weiblichkeitsmodell verschleiert wird: Entsexualisierung plus Demut, das weibliche Ideal. Ein Symbol, geschaffen, den Unterdrückten die Selbstunterdrückung beizubringen, den Verunsicherten die Selbstzensur, den doppelt Ausgebeuteten die Selbstausbeutung.“

Nicht alle Männer müssen Jesus nachfolgen, nicht alle Väter Josef, aber alle Frauen Maria.

Nach dem Tod von Oma und Tante, nach dem Einstieg in den Beruf vergaß ich zunächst die Plastikmadonna. Als ich 2002 zum ersten Mal Mutter wurde, erinnerten mich andere daran. Zunächst Männer. Ich arbeitete damals bei der Wochenzeitung „Rheinischen Merkur“. Einige Herren aus dem gemäßigt konservativ-katholischen Spektrum gratulierten nach der Geburt - kein Witz - zur „Vollendung meiner Weiblichkeit“. Ein Herausgeber ließ mich wissen, meine Texte seien nun reifer. Zehn Wochen nach der Geburt arbeitete ich wieder Vollzeit. Eine Herausgeberin erkundigte sich, wo in der Zeit das Baby sei, „das arme Würmchen“. Natürlich verändert ein Kind vieles im Leben, für die Mutter UND für den Vater. Die sehr katholische Erwartung, dass ein Kind alles für die Frau verändert, muss etwas mit dem Marien-Kult zu tun haben. Völlige Hingabe, totale Opferbereitschaft - Mütter, die andere Interessen als Brutpflege bewahren, sind verdächtig. Für mich hat dieser subtile Mama-Marienkult allerdings auch Vorteile. Eine Freundin, weder Ehefrau noch Mutter, sagte mir kürzlich: „Du kannst leicht kritisieren. Du bist verheiratet, hast zwei Kinder, damit hast du bewiesen, dass du eigentlich katholisch bist. Mir glaubt das so richtig keiner.“ 

Sie hat Recht. Viele Frauen, die im Weiberaufstand zu Wort kommen, berichten: Als Kinderlose und Singles würden sie in der Kirche nicht für voll genommen, gerade wenn sie kritische Positionen vertreten. Kein Wunder, dass die keinen abgekriegt hat. Vielleicht stimmt mit ihren Hormonen etwas nicht. Die ist doch schon über die Wechseljahre hinaus. Von solchen Bemerkungen erzählen sie. Katholizismus wird offenbar auf dem Beckenboden entschieden. Meine Großmutter, Jahrgang 1904, wuchs auf im Geiste von Papst Pius XI. Der warnte in der Enzyklika „Casti connubii“ 1930 vor emanzipatorischen Ideen. Die Befreiung der Frau sei „eine Schändung des weiblichen Empfindens und der Mutterwürde.“ Die „unnatürliche Gleichstellung mit dem Manne werde die Frau ins Verderben führen. Etwas von diesem Geist wirkt weiter. Die volle Menschenwürde haben katholische Frauen nur durch die Mutterwürde. 10. Streitwert Ich bin berufsbedingt debattengestählt. Allerdings bin ich in keiner Debatte mit so viel Irrsinn konfrontiert worden, wie nach Erscheinen des Buches Weiberaufstand. Da lese ich: Männer müssten sich doch auch damit abfinden, nicht gebären zu können, Frauen damit, nicht Priesterin sein zu können. Ich müsse doch als Katholikin die Braut-und-Bräutigams-Mystik nachempfinden können, belehrt mich eine theologische Fachzeitschrift. Es sollte nicht um Macht gehen, sondern um Begeisterung und da könnten gerade Frauen besonders viel einbringen,  jubiliert eine eine junge Theologien auf einem katholischen Portal. Der Heilige Geist sorge dafür, dass die Weihe an einer Frau abperle, versichern mir die Piusbrüder. 

Ich stehe ratlos davor, wenn gerade junge Frauen die Alternative aufmachen: entweder wir reden über den heiligen Geist oder wir reden über Reformen, entweder wir reden über den Glauben oder wir reden über Strukturen. Beides geht. Zudem sollten Frauen nicht als Strukturdebatte abgebucht werden, denn sie sind Personen. Auch diese Entpersönlichung ist ein Zeichen mangelnder Wertschätzung.

Die meisten von Ihnen haben ihre Nische gefunden, sie fühlen sich nicht diskriminiert, weil es Frauen in anderen Regionen der Welt viel schlechter geht als in Deutschlands katholischer Kirche. Sie haben ihren Frieden mit der Kirche gemacht und denken sich: Bloß nicht streiten, überall auf der Welt ist so viel Streit. Nicht auch noch in der Kirche, in der kfd, der Gemeinschaft. 

Ich werde oft gefragt, warum ich kämpferisch auftrete und nicht diplomatisch. Kürzlich staunte meine frühere Deutschlehrerin von der Ursulinenschule, keine Ordensfrau, darüber, wie aus dem braven, fleißigen, schüchternen Mädchen eine solche Kampfkatholikin werden konnte.

Ich möchte Sie nicht zum Aufstand anstacheln. Ich hoffe, Ihnen zu denken gegeben zu haben. 

Für mich ist diese Woche eine besondere, die ich nicht einfach professionell wegmoderieren kann. Ich habe in dieser Woche sehr mit meiner professionellen Distanz gerungen, als die Zahlen der Missbrauchsstudie öffentlich wurden, 3677 Opfer, 5 Prozent der Priester Beschuldigte, jeder 20. 

Da schoss mir vieles aus meiner katholischen Sozialisation durch den Kopf: Dass das Leid der Betroffenen nicht zählte, dass sie wie Störer behandelt wurden, dass ihnen eingeredet wurde, sie sollten den Tätern vergeben. 

Dass sich die Kirche jetzt schon wieder selbst als Opfer inszeniert, weil Teile der Studie früher bekannt wurden, als der Bischofskonferenz lieb ist. 

Dass noch immer kein einziger aufsteht und sagt: Ich bin Täter. Ich bin Vertuscher. Dass so viele die Bischöfsmütze tragen wollen, aber niemand persönliche Verantwortung tragen will.

Und mir fällen meine Oma und meine Tante ein mit ihrem ständigen Gebet „durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld“. Dass sie glaubten, in demütig-gebückter, geduckter Haltung gehen zu müssen, weil das Dasein als Frau per se sündhaft erschien. Dass aber Priester, die Verbrechen an Kinder begingen, nichts zu befürchten hatten.

Meine Streitlust hat mit den im doppelten Sinne kleinen Katholikinnen und Katholiken zu tun: mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, und mit all den Erwachsenen, die kleingehalten wurden von einer übergriffigen, bevormundenden Unterleibsmoral. Die frommen Frauen meiner Familie hätten keinen Weiberaufstand gewollt vor lauter Angst.

Dass die Kirche diesen Streit wert ist, bezweifle ich. Wir sehen im Moment, wie ein System kollabiert, gerade weil es eisern aufrecht erhalten werden soll. Aber die Menschen, die das Gefühl hatten, wertlos zu sein, sind es mir wert. 


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