top of page

Die Würde des Weibes ist antastbar

Aktualisiert: vor 24 Stunden


Impuls zum "Weiberaufstand" im Domschatz Essen, 5. September 2025, 19 Uhr



Im Frühjahr habe ich die Regale meines Arbeitszimmers neu gestrichen. Sie waren bis dahin schwarz, ich hatte sie nach dem Studium in Paris gekauft, um mich intellektuell und existenzialistisch zu fühlen. Juliette Gréco, Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir, St. Germain, Sie wissen schon. Die Gréco höre ich immer noch gern, de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ lese ich immer mal wieder. Aber ich wollte nicht mehr schwarzsehen.


Das heute Abend titelgebende Buch „Der Weiberaufstand“ ist so lila wie die Klischee-Latzhose, die früher Feministinnen übergezogen wurde. Lila Latzhose, das hieß verächtlich: "Mannweiber", gern kombiniert mit dem Wunsch, denen mal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt.


Vor einigen Monaten bin ich unter die Heimwerker*innen gegangen. Mein Mann sagte: "Die schwarzen Regalbretter musst du anschleifen, sonst hält da keine neue Farbe drauf, erst recht keine hellere." Nachdem wir beim Abendessen über meine Pläne gesprochen hatten – das Handy lag auf dem Tisch – bekam ich lauter Werbevideos für Möbelfarbe ohne Anschleifen. Mein Sohn sagte, da gebe es keinen Zusammenhang, das sei eine Verschwörungserzählung. Ich schwöre, zumindest die zeitliche Abfolge war so. Von da an umschmeichelten mich pastellige Videos, sanft fragte die Homepage eines Farbenherstellers beim ersten Klick: Was suchst du? Aus dem banalen Streichvorhaben wurde „mein Projekt“. Eine neue Farbe ist wie ein neues Leben.


ree

Mich umflorten Wörter wie „Inspiration“ und „Community“. Vorher-Nachher-Bilder zeigten, wie der Lack „Grün mit Limette“ eine ranzige Kommode in eine fröhliche Mitbewohnerin verwandelt. „Grün mit Matcha“ lässt das Möbel wie eine empathische Zuhörerin wirken. Hunderte Möglichkeiten - alles mit Gelinggarantie, auch bei ungelenker Pinselführung samtig-eben schimmernd, keine Tropfen.

  

Weniger benebelt betrachtet steckt hinter den Videos und Homepages eine Marketingstrategie: Farbenhersteller konkurrieren um die geisteswissenschaftlich ausgebildete Erst-Streicherin, sie kennen meine Defizite, und pinseln zugleich elegant über die Tatsache hinweg, dass ich keine Ahnung habe. Was ich nicht weiß, findet sich in einer Rubrik namens „Wissensspeicher“. Ich habe mir einen Lack aus der Produktlinie Stark&Schimmernd bestellt, Farbton lila Lavendel, dazu zwei Dosen Untergrund namens Blocken&Halten. Als das Paket mit den Farbdosen ankam, war eine Karte beigelegt. „Mit Liebe gepackt von Evi" steht darauf.


Das ist mehr als Do it yourself. In eine Welt von Selfcare und Selfempowerment bin ich eingetaucht, regelmäßig fragt bis jetzt eine Franzi per Mail, was lila Lavendel stark&schimmernd mit mir macht, welches Projekt ich als nächstes angehe und ob ich nicht die Community mit einer Vorher-Nachher-Fotoserie meines Regals inspirieren möchte.


Ich möchte Sie heute Abend zu einer Vorher-Nachher-Story anregen: Der Weiberaufstand ist 2017 erschienen, was hat sich verändert in acht Jahren? Was blockt, was hält? Was ist das nächste römisch-katholische lila Projekt?

 

Diakoninnenmöglichkeitssprüfungskommission und Präfektinnen: Vorher-nachher im Schnelldurchlauf:


Was sich seit 2017 verändert hat: Es gibt eine Diakonninnenmöglichkeitsprüfungskommission mehr. Römisch-katholische Diakoninnen gibt es nicht.  Eine Weltsynode wurde abgehalten, auch - manchen sagen: sogar - Frauen saßen an den runden Tischen in der Synodenaula. Das Thema "Ämter für Frauen" fiel unter das runde Möbelstück. Die blasslila Lesart lautet: Immerhin ist die Tür zur Diakoninnenweihe nicht ganz zu. Immerhin geht es weiter im römischen Casino Royal, mit einem neuen Papst Leo XIV.   


Zum Vorher-Nachher-Vergleich gehört auch: Franziskus hat im Vatikan einige Frauen in Spitzenpositionen befördert. Präfektin des Dikasterium für die Institute geweihten Lebens ist die Ordensfrau Simona Brambilla. Ihr wird, anders als den männlichen Kollegen, ein Kardinal zur Seite gestellt. Ohne einen geweihten Mann wäre das Amt nicht ausgefüllt.


Auch in deutschen Diözesen gibt es weibliche Führungskräfte, Amtsleiterinnen und Gemeindeleiterinnen zum Beispiel. Im Weiberaufstand erzähle ich die Anekdote von dem Bischof, der mich fragte: "Darf ich Ihnen meinen Frauenförderplan zeigen?" "Was dem Verführer von einst die Briefmarkensammlung war, ist aufgeschlossene Bischof von heute der Frauenförderplan", steht auf Seite 167. Deutsche Diözesen haben sich mittlerweile komplizierte Förder-Konstruktionen ausgedacht. Im Erzbistum München zum Beispiel gibt es eine Amtschefin und einen Generalvikar. Eine Generalvikarin ist nicht möglich.  


Um nicht missverstanden zu werden:  Ich bin natürlich nicht gegen weibliche Führungskräfte. Sichtbarkeit von Frauen, nicht nur im Ehrenamt, ist wichtig. Wirksamkeit auch. Der lila Lack auf dem klerikalen Schwarz blättert aber schnell ab, weil die Lehre nicht einmal angeschliffen wurde.  


Die lila Lernkurve der Bischöfe


Man kann es auch anders sehen, zartlila hoffnungsvoll klingt das dann so: Erst wurden Messdienerinnen möglich, jetzt Amts- und Gemeindeleiterinnen – so folge immerhin ein Schritt dem nächsten; man müsse Bischöfen Zeit geben, um dazuzulernen.


Ich bin keine Freundin dieses Immerhin-Feminismus.


Frauen sind keine neue Erfindung. Die Herren hatten jahrhundertelang Zeit, diese Weiber kennenzulernen, zu erforschen und zu prüfen. Ich weiß nicht, zu welchen bisher unbekannten Einsichten geweihte Männer noch vordringen müssen, um endlich qua Amt zu sagen, was seit 1949 im Grundgesetz steht: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, besser noch: Alle Geschlechter sind gleichberechtigt. Genau dieser Zielsatz darf gerade nicht formuliert werden, die klerikale Lernkurve geht nie so weit, dass die Lehre geändert würde.


Nach wie vor ist das Geschlecht nicht ein Identitätsmerkmal unter vielen, es ist laut römisch-katholischer Lehre das prägende. Daraus folgen spezifische Aufgaben, spezifische Entfaltungsmöglichkeiten  und vor allem für Frauen spezifische Grenzen des Möglichen. Weil du Frau bist, musst du... Weil du Frau bist, darfst du nicht …. Sozialwissenschaftlich betrachtet ist das eine Diskriminierung. Lehramtlich betrachtet ist es die wahre Gleichheit; Gleichberechtigung wird als Gleichmacherei diffamiert. Da ist sie immer noch, die Drohkulisse Mannweib.    

 

Was ist dein nächstes Projekt: Mutter oder Nonne?


Der Farbhersteller fragt mich ständig: Was ist dein nächstes Projekt? Die Werbung suggeriert:  Wenn du es geschafft hat, den Stuhl zu streichen, dann schaffst du das Regal, wenn du das Regal geschafft hast, schaffst du die Küchenfront, irgendwann sehen Haus und Leben anders aus als vorher, dank lila Lavendel oder Matcha-grün.


Frage an die Frauen hier im Saal: Hat ein Papst Sie mal gefragt: Was ist dein nächstes Projekt? Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass er’s gefragt hat: Hat er Ihre Antwort abgewartet? Katholikinnen können zwischen zwei Projekten wählen: entweder das Projekt Mutter und Ehefrau oder das Projekt Nonne. Physische oder geistliche Fruchtbarkeit – das ist nach wie vor die weibliche Bestimmung.  Komischerweise müssen Päpste und Bischöfe Frauen ständig daran erinnern, von Natur aus kommen die Weiber dann doch nicht immer drauf.  


Die Soziologin Linda Woodhead beschreibt in ihrem Buch „Geschlecht, Macht und religiöser Wandel“ unter anderem die Maria-Marketingstrategie im 19. Jahrhundert. Die hatte die römisch-katholische Kirche damals der evangelischen Mitbewerberin voraus.  Die römisch-katholische Kirche ist die erste Mom-Fluencerin: Mütter bekamen durch Maria eine eigene Identifikationsfigur, das sah zunächst wie eine Aufwertung aus. Allerdings ist diese Maria bis heute so demütig, aufopferungsvoll, keusch und rein, dass sich eine real existierende Frau dauerdefizitär, schmutzig, ja schuldig fühlen muss. Frauen genügen dem Ideal nie, ob als Mutter oder – darauf komme ich später noch – als Nicht-Mutter.


Meine Kinder sind erwachsen, 20 und 23 Jahre alt. Als ich selbst Mutter wurde, damals war ich Kulturredakteurin beim Rheinischen Merkur, wurde mir seitens des katholischen Arbeitgebers signalisiert, dass es nicht so toll ist, wenn ich lange ausfalle. Ich hatte das ohnehin nicht vor. Nach der Geburt der Tochter gratulierten mir konservative Führungskräfte zur "Vollendung meiner Weiblichkeit". Als das Baby knapp drei Monate alt war, kehrte ich wieder in Vollzeit zurück. Eine Herausgeberin schickte mir ihre Bücher, in denen sie vor den katastrophalen Folgen für die Mutter-Kind-Bindung warnte. Christiane F. fragte sich, an welchem Bahnhofsstrich das Kind landen wird, wenn die Mutter so schnell wieder berufstätig ist. Damals habe ich mit schimmernder Ironie gekontert, ohne die Unverschämtheit&Übergriffigkeit, wortstark zu benennen. Konservativ-katholisch bedeutet: Frauen Vorschriften machen.    


Wo es keinen Mann gibt, gibt es trockene Einsamkeit


Um aufs Lehramt zurückzukommen: Bis heute haben deren Inhaber nichts vom Lila-Farbenhersteller gelernt, „Was suchst du?“, „Bestimme dein Projekt“ – das ist für Katholikinnen nicht vorgesehen. kratzt man am päpstlichen Loblack für Frauen, werden alte Muster sichtbar.   


Ganz irdisch heißt Gleichberechtigung: Ich kann mir unabhängig vom Geschlecht mein Projekt aussuchen, ich muss mir nicht Möglichkeiten allein deshalb verbieten, weil ich weiblich bin. Papst Franziskus hat Frauen in den Himmel gelobt, ihnen aber die irdische Gleichberechtigung verweigert. Maria Magdalena hat er zur Apostelin der Apostel erhoben. Das hielt ihn aber nicht davon ab, Frauen über sich selbst zu belehren. Im Mai 2023 dozierte er vor katholischen Frauenorganisationen: "Der Mann ohne Frau ist allein. Die Menschheit ohne Frau ist einsam. Eine Kultur ohne Frau ist einsam. Wo es keine Frau gibt, gibt es Einsamkeit, trockene Einsamkeit, die Traurigkeit und alle Arten von Schaden für die Menschheit erzeugt.“


Machen Sie bitte die Gegenprobe: "Wo es keinen Mann gibt, gibt es trockene Einsamkeit." Dass männliche Existenz mit Einsamkeitsvertreibung gerechtfertigt wird, kommt eher selten vor. Es gibt insgesamt wenig Lehramtliches von der Sorte: Weil du Mann bist, musst du... Weil du Mann bist, darfst du nicht...


Was Franziskus sagte, klingt harmlos bis skurril, heißt aber: Frauen sind da, weil Männer sie brauchen. In diesem geistigen Setting ist nicht vorgesehen, dass eine Frau sagt: Ich will das für mich, ich fordere das, für mich soll*s rote Rosen regnen. Frauen dürfen sich nichts nehmen, nur annehmen. Das hat schon Simone de Beauvoir als Muster beobachtet. Frausein heißt:  dienlich sein, nützlich sein, putzen und putzig sein. Das Weib ergänzt den Mann, das ist die Lehre von der Komplementarität der Geschlechter. Der Mann definiert, was fehlt und was das Weib zu ergänzen hat. „Streich den Couchtisch neu, damit dein Mann seine Füße auf kühlem moosgrün hochlegen kann!“  Es muss Gründe haben, dass allen Tradwifes zum Trotz Farbenfabrikanten 2025 auf Social Medio so nicht werben.


 Wie lila ist Leo?


Viele Frauen, die in der Aufbruchszeit der Würzburger Synode Träume von Gleichberechtigung hatten, sind längst gegangen oder still geworden. Wenige ziehen immer neue lila Hoffnungsschleifen, auf der neusten steht der Name Leo.


Franziskus‘ Nachfolger, Leo XIV. ist seit gut 100 Tagen im Amt. Als Kurienkardinal hat Robert Prevost während der Weltsynode im Oktober 2023 zum Thema Weiheämter für Frauen die klassische Abwehrargumentation vorgebracht: „Etwas, das auch gesagt werden muss, ist, dass die Weihe von Frauen – und es gab einige Frauen, die das interessanterweise gesagt haben: 'Klerikalisierung von Frauen' – nicht unbedingt ein Problem löst, sondern vielleicht ein neues Problem schafft.“ Wenn Klerikalisierung ein Problem ist, frage ich mich, warum überhaupt noch Männer geweiht und Päpste gewählt werden.


Verglichen mit dem frühen Franziskus wirkt Leo aus journalistischer Perspektive langweilig: Er lobt die Kurie, verzichtet auf spektakuläre Interviews und fällt nicht mit der Verdammung des kapitalistischen Wirtschaftssystems auf. Wenn ich die Immerhin-Brille aufsetze, könnte ich auch sagen: Immerhin sagt er einiges nicht. Leo gehört dem Augustiner-Orden an. Der Heilige Augustinus hat eine bemerkenswerte Vorher-Nachher-Story hinter sich, wandelte sich vom Playboy zum enthaltsamen Denker. Intensiv zerbrach er sich den Kopf darüber, wozu es diese lästigen Weiber überhaupt geben müsse. Er kam zu dem Schluss: Frauen taugen nicht für die Feldarbeit, Frauen taugen nicht für Freundschaften, Frauen sind zum Kinderkriegen da.

 

Bisher hat Robert Prevost diese These – immerhin - nicht vertreten, Leo XIV. hat bisher wenig zum angeblichen Megathema Frau gesagt. Eine Predigt gibt aber doch, darauf bin ich in unserem eigenen Programm, im Deutschlandfunk, aufmerksam geworden, in einem Feature von Luisa Meyer. Anfang Juni sprach der neue Mann in weiß vor Vatikan-Mitarbeitenden über Petrus und Maria:


„Gerade Petrus wird von Maria in seinem Amt unterstützt. In analoger Weise unterstützt die Mutter Kirche den Dienst der Nachfolger Petri mit dem marianischen Charisma. Der Heilige Stuhl lebt in ganz besonderer Weise die Kopräsenz der beiden Prinzipien, des marianischen und des petrinischen Prinzips. Und es ist das marianische Prinzip, das die Fruchtbarkeit und Heiligkeit des petrinischen Prinzips mit seiner Mutterschaft, einem Geschenk Christi und des Heiligen Geistes, gewährleistet.“


Verstehen Sie, was er sagt? Ich nicht. Das marianische Prinzip meint die Bestimmung zur Fruchtbarkeit, das petrinische die Bestimmung zu Führung und Amt. Die Immerhin-Fraktion deutet Leos Worte so, dass er das petrinische Prinzip nicht ausschließlich Männern zugeordnet hat. So zart ist die lila Hoffnung. Als Leo kürzlich Messdiener empfing, hat er sie ermutigt, Priester zu werden. Über eine entsprechende Äußerung gegenüber Messdienerinnen ist nichts bekannt.


Gleichberechtigung umfasst wesentlich mehr als die Zulassung zum Weihe, Gleichberechtigung wäre das Abschleifen der diskriminierenden Lehre. Nach einer Überwindung der Geschlechterordnung , nach einer Änderung der Lehre, klingen Leos Worte nicht.


Viele 100-Tage-Bilanzen haben hervorgehoben, dass der Papst an der "Einheit der Kirche" arbeiten werde nach den unruhigen Franziskus-Jahren. Die handelsübliche Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen stiftet Einheit, wer Gleichberechtigung anstrebt, stellt eine Extrem-Forderung und spaltet.  Das heißt: Meine Damen, stellen Sie sich weiter hinten an, erstens gibt es wichtigeres als die Weiber, zweitens richtet ihr schaden an.



Was der neurechte Zeitgeist verändert, wenn sich nichts ändert


In der Lehre ändert sich nichts, in der Praxis gibt es einige lila Lacktupfer. Ist also alles gleich seit 2017? Nein. Das Gleiche verändert sich, wenn sich das politische Umfeld fundamental wandelt. Im Weiberaufstand steht, dass sich Gegner der Gleichberechtigung 2017 im Aufwind wähnen, sie surften auf der Trumpfönwelle.

Jetzt sind rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen noch stärker, in den USA ist die politische Macht autoritärer Christen wie JD Vance und Peter Thiel unübersehbar, in Deutschland wird immer noch gern heruntergespielt, welchen Einfluss rechtschristliche Netzwerke durch ihr Geld, ihr strategisches Vorgehen und die gesellschaftliche Stellung ihrer Mitglieder haben. Gerade um das Thema Lebensschutz und Anti-Gender bilden sich interkonfessionelle Allianzen.


Die Bewegung der Neuen Rechten gibt es seit den 1960er Jahren. Sie beruft sich auf eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung, manche Vertreter auch dezidiert religiös auf eine angeblich göttliche Ordnung. Die Bewegung ist politisch, vor allem aber hat sie einen kulturellen Anspruch. Sie pflegt einprägsame Bilder: ER zieht hinaus in die harte Welt, kämpft fürs täglich Brot. SIE schenkt ihm Kinder, wärmt Kar- und Pantoffeln, macht den Mozarrella selbst und schrotet das Mehl. Sie trägt Schürze oder Kleid, jedenfalls keine Latzhose und sieht umwerfend aus. "Rechts" ist ein Lebensgefühl.


Dass an der Spitze neurechter Parteien Frauen wie Alice Weidel, Georgia Meloni und Marine Le Pen stehen, bildet zu dieser Ordnung keinen Widerspruch. Die Politikerinnen inszenieren ihre ideologische Fruchtbarkeit und durch ständige Selbstviktimisierung ihre Aufopferungsbereitschaft. Sie sind als Frauen antifeministisch und als lesbische Frau – wie Alice  Weidel - anti-queer. Kritik an patriarchalen Machtverhältnissen werden sie von diesen Politikerinnen nicht hören, die lila Latzhose gilt als linksgrün versifft.    


Angesichts dieses neurechten Zeitgeistes müssten eigentlich gerade jene, die immer eine Kirche gegen den Zeitgeist gefordert haben, die stets gegen die Linken und Liberalen gekämpft haben, jetzt die lila Latzhose überstreifen und Plakate pinseln, auf denen steht: „Alle Geschlechter sind gleichberechtigt“ – das war schon immer ein provokanter Satz, im aktuellen politischen Klima ist das einer der provokantesten Sätze überhaupt. Um es zurückhaltend auszudrücken: Dass die Rechtsgläubigen feministisch werden, ist nicht zu erwarten.

Bevor ich Ihnen einen Ausblick gebe, der ins Lila hinüberspielt, sehe ich im nächsten Kapitel tiefschwarz.

 

Tiefschwarze Bilder: Frauke Brosius-Gersdorf, der Paragraf 218 und die katholische Prominenz


Neurechte, populistische Parteien reduzieren politische Debatten auf Freund-Feind-Muster. Sie arbeiten mit Feindbildern und mobilisieren gegen Gruppen und Personen, die als Feinde identifiziert werden. Hass ist keine Entgleisung, er gehört zur Strategie.


Eine öffentliche Person hat die Wahl, wie sie spricht, erst recht zu Triggerpunkt-Themen. Ob ich Stellung beziehe, ist eine Entscheidung. Und wie ich Stellung beziehe, ist erst recht eine: welche Erzählungen verbreite ich? Wie differenziert gebe ich die Position wider, mit der ich nicht einverstanden bin? Welchen Rahmen, welche Framing spanne ich auch auf?


Sie ahnen, dass sich beim Thema "Weiberaufstand" die Debatte - treffender: die katholische Nicht-Debatte - um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf aufdrängt. Am 11. Juli wollte der Bundestag die drei freien Plätze im Bundesverfassungsgericht neu besetzen, zur Wahl standen zwei Kandidatinnen und ein Kandidat,


Anfang Juli erschienen in rechtspopulistischen und rechtsextremen Portalen Artikel über die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für Verfassungsrecht an der Universität Potsdam. Zunächst wurden der neurechten Community verschiedene Punkte zur Skandalisierung der Personalie angeboten: Sie sei für eine Corona-Impflicht, sie trete für ein AfD-Verbot ein, sie wolle Gender-Sprache im Grundgesetz und sie sei dafür, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.


Innerhalb weniger Tage wurde die Professorin zur linken Aktivistin stilisiert, festgemacht hauptsächlich an ihrer Position zum Schwangerschaftsabbruch. Auch seriöse Medien griffen das auf, sie zitierten einzelne Sätze aus längeren Aufsätzen.


Frauke Brosius-Gersdorf gehörte einer Kommission zu einer Reform des Paragrafen 218 an, den Auftrag hatte die Ampelkoalition vergeben. Der Abschlussbericht ist seit mehr als einem Jahr öffentlich. Die Verfassungsjuristin legt in dem Bericht dar, warum ihrer Auffassung nach Schwangerschaftsabbrüche bis zum Ende des dritten Monats nicht ins Strafrecht gehören. Sie entfernt sich also von der aktuellen Regelung: rechtswidrig, aber unter bestimmten Bedingungen - Beratung mit Schein - straffrei. Umfragen zufolge sind fast 80 Prozent der Menschen in Deutschland für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten. Angesichts der Demoskopie mag es überraschen, dass gerade diese Position von Frauke Brosius-Gersdorf sich so skandalisieren ließ. Es überrascht deutlich weniger, wenn man weiß, dass auch bei großen gesellschaftlichen Mehrheiten Triggerpunkte mit Feindbildern bearbeitet werden können. Der Kampf gegen Abtreibung ist eines der Haupt-Mobilisierungsthemen der Neuen Rechten, völkische Ideen werden als "Lebensschutz" getarnt und so anschlussfähig an konservative und religiöse Menschen.


Ganz wichtig: Damit sage ich nicht, dass alle, die sich gegen eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aussprechen, rechtspopulistisch oder rechtsextrem sind. Ich sage auch nicht, dass Kirchenmänner zum 218 schweigen sollten, weil es ein Frauenthema ist. Man muss allerdings genau hinschauen, was sich unter dem Etikett „Lebensschutz“ verbirgt. Dabei dabei helfen einige einfache Fragen: Wird beim Thema Schwangerschaftsabbruch überhaupt ein ethischer Konflikt wahrgenommen oder ist alles ganz eindeutig? Wie wird über die Frau gesprochen? Werden bevölkerungspolitische Anliegen formuliert, also zum Beispiel, dass es mehr deutsche Kinder geben soll?


Frauke Brosius-Gersdorf weist in dem Bericht der Kommission, aber auch in anderen Texten auf ein juristisches Dilemma hin. In ihrer Erklärung zum Amtsverzicht hat sie das so zusammengefasst: „Da die Menschenwürdegarantie nach herrschender Meinung nicht abwägungsfähig ist, wären bei Geltung der Menschenwürdegarantie für den Embryo ab Nidation Konflikte mit den Grundrechten der Schwangeren nicht lösbar. Ein Schwangerschaftsabbruch wäre dann unter keinen Umständen rechtmäßig, auch nicht bei Gefährdung des Lebens der Frau. Es ist aber bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer (§ 218a Abs. 2 StGB) und kriminologischer (§ 218a Abs. 3 StGB) Indikation legal ist. Die verfassungsrechtliche Lösung kann denklogisch nur sein, dass entweder die Menschenwürde abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt.“  


Sie stützt ihre Argumentation nicht auf Artikel 1, sondern auf Artikel 2 (Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit) des Grundgesetzes und wägt das gegeneinander ab, was man denklogisch abwägen kann: den Grundrechtsschutz der Frau gegen den von Fötus und Embryo. In diesem Kontext ist auch ihr Satz zu verstehen, dass es juristisch gute Gründe gebe, die Menschenwürde erst mit der Geburt anzusetzen. Damit sagt sie weder, dass die Menschenwürde erst mit der Geburt beginnt noch, dass Ungeborene kein Lebensrecht haben.

 

Dieser Position muss man nicht zustimmen, aber es ist wichtig, diese juristisch längst bekannte Debatte um Art. 1 und Art. 2 wenigstens zur Kenntnis zu nehmen.


Was war von der römisch-katholischen Prominenz zu hören: Am 9. Juli, also vor dem Wahltag, erklärten die Bischöfe von Regensburg und Passau, Rudolf Voderholzer und Stefan Oster:


Unser Grundgesetz ist maximal inklusiv. Jedem Menschen wird unabhängig von seiner Lebenssituation Menschenwürde und das Recht auf Leben zugesprochen. Ausschlüsse davon kann und darf es unter keinen Umständen geben. Dies unbedingt zu garantieren, ist die Pflicht des Staates. Wer die Ansicht vertritt, dass der Embryo oder der Fötus im Mutterleib noch keine Würde und nur ein geringeres Lebensrecht habe als der Mensch nach der Geburt, vollzieht einen radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung. Ihm oder ihr darf nicht die verbindliche Auslegung des Grundgesetzes anvertraut werden. Jede Relativierung von Art. 1 GG muss ein Ausschlusskriterium für die Wahl zum Richter oder zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts sein. Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben.“


Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki sagte:

„Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Artikel 1 des Grundgesetzes festschreibt, muss ohne Einschränkungen für alle Menschen zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens gelten – von der Empfängnis an bis zum natürlichen Lebensende.“


Die Wahl am 11. Juli kam nicht zustande, das Thema wurde von der Tagesordnung des Bundestages genommen. Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl ließ am 13. Juli seine Predigt zum Heinrichsfest vorab an die Nachrichtenagenturen verbreiten, es ging eigentlich ums Kreuz im öffentlichen Raum.


Da war vorab zu lesen, was er auch sagte: Man habe in der Vorwoche einen „innenpolitischen Skandal“ erlebt durch die Kandidatur einer bestimmten, namentlich nicht genannten Juristin. Daran schloss sich der Satz an: "Ich möchte mir nicht vorstellen, in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet". "Dann haben die Schwächeren keine Stimme mehr: nicht die Ungeborenen und nicht die pflegebedürftigen Alten; nicht die psychisch Kranken und auch nicht die sozial Schwachen, … ". Die Kandidatin bestreite angeblich das Lebensrecht Ungeborener, das sagte er er auch.


Der katholische Influencer Johannes Hartl hat – noch vor der Wahl – der Personalie eine Ausgabe seines Senf-Videos gewidmet. Er beginnt mit einem Zitat aus einem Aufsatz von Frauke Brosius-Gersdorf. Dieser isolierte Satz lautet: „Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.“ Und dann belehrt er das Publikum: Das Grundgesetz entstand auf den Trümmern des Dritten Reiches, wo genauso – wie angeblich bei Brosius-Gersdorf – argumentiert wurde. Innerhalb weniger Minuten kommt er von der Juristin zu Hitler und der Ideologie des lebensunwerten Lebens. Aus Brosius-Gersdorfs angeblicher Position leitet er die Frage ab: "Warum soll es falsch sein, einen Menschen kurz vor der Geburt zu töten?“


Die Vorsitzende des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken Irme Stetter-Karp erklärte: „Dass eine Kandidatin für das Amt der Bundesverfassungsrichterin öffentlich erklärt, es gebe 'gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt', beunruhigt mich sehr". Und weiter: "Ich würde sie aufgrund dieser Position nicht wählen können."


Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing meldete sich m 17. Juli in einem Interview zu Wort: Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden", es sei viel schiefgelaufen, das Thema eigne sich nicht für eine Kulturkampf.


Das eiskalte Weib


Mindestens zweierlei fällt auf: Nicht einer oder eine bemüht sich überhaupt darum, den Kontext herzustellen, in dem sich die Verfassungsjuristin zu Artikel 1 des Grundgesetzes geäußert hat, nicht einer oder eine skizziert auch nur die schon seit vielen Jahren währende Debatte, die Argumentationslinien um die Abwägbarkeit oder Nicht-Abwägbarkeit der Menschenwürde. Statt dessen bemühen Oster und Co., aber auch Irme Stetter-Karp das große Wort Menschenwürde, als würde man selbst dadurch unantastbar und müsste sich nicht die Mühen komplexer juristischer und ethischen Debatten antun. Geog Bätzing reagiert nicht inhaltlich, eher seelsorgerlich.


Georg Essen, Theologieprofessor an Berliner Humboldt-Universität, blickt in einem aktuellen Aufsatz in der Herder-Korrespondenz auf die auch intellektuelle römisch-katholische Blamage zurück. Sein letzter Satz lautet: "Doch der Widerspruch zu ihr, den es ja auch aus den Reihen des Verfassungsrechts gibt, sollte die Differenzierungsbereitschaft nicht unterbieten, mit der Frauke Brosius-Gersdorf argumentiert.“


Ich würde ergänzen: Das Argumentationsniveau wurde unterlaufen, nicht nur unterboten.


Georg Essen merkt zudem etwas an, was auch mir aufgefallen  ist, aber wenn es ein renommierter katholischer Theologe schreibt, glauben Sie mir vielleicht mehr: In den Wortmeldungen ist zwar von der Menschenwürde des Ungeborenen die Rede, aber nicht von der Menschenwürde der Frau. Dass Äußerste ist, dass der Schwangeren eine Konfliktsituation zugestanden wird. Das Wort Menschenwürde fällt im Zusammenhang mit dem Wort Frau in den genannten Statements nicht.


Ich will nun nicht behaupten, dass Genannten der Frau die Menschenwürde  absprechen, sie finden sie aber offenkundig nicht erwähnenswert.

„Nie wieder Menschen zweiter Klasse“, heißt es bei den Bischöfen Voderholzer und Oster. An die NS-Zeit erinnert Johannes Hartl. Auch wenn sie die Formulierung nicht benutzen: Der Gedanke an die die "furchtbaren Juristen" – so der Titel eines berühmten Buches über NS-Richter  - liegt nah.  In den Kommentarspalten rechtskatholischer Medien sammeln sich frauenfeindliche Stereotype, da wird Frauke Brosius-Gersdorf zur eiskalten Mörderin, zur Kindstöterin. Beatrix von Storch, AFD-Bundestagsabgeordnete, evangelisch mit Liebe zur katholischen Messe im Alten Ritus, behauptet im Bundestag unwidersprochen, die Verfassungsrechtlerin sei dafür, Kinder bis zur Geburt abzutreiben.


Die Hypothese ist schwer zu beweisen, ich formuliere sie dennoch:  Hätte Prof. Dr. Franz Brosius dieselben Positionen vertreten, dann wären solche Bilder, solche frauenfeindlichen Bilder - nicht aufgerufen worden.


Der Immerhin-Erzbischof


Der Erzbischof von Bamberg, Herwig Gössl, hat nach der Kritik an seiner Predigt zunächst erklärt, er sei missverstanden worden. Dann schob er nach, er sei der falschen Information aufgesessen, dass Frauke Brosius-Gersdorf das Lebensrecht des Ungeborenen bestreite. Er besteht allerdings darauf, dass er gegen abgestuften Lebensschutz ist. Der Erzbischof hat einen Fehler zugegeben und mit der Professorin telefoniert. Immerhin. Da ist es wieder, das I-Wort. Er wurde dafür belobigt.


Wieder sehe ich das Immerhin kritisch.


Es ist gönnerhafter Gestus. Danach steht der Bischof in der Öffentlichkeit wieder als Guter da. Man muss schon sehr geringe Anforderungen an ein öffentliches Amt haben, wenn das reicht.  Ich bin der konservativen Auffassung, dass eine öffentliche Rede sorgfältige Vorbereitung voraussetzt, erst recht, wenn sie vorher an Nachrichtenagenture rausgeblasen wird. Aber zugespitzt gesagt: Mon Dieu, es geht ja bloß um ein Frauendings, zu dem sich eine Frau positioniert hat, davon  haben Kirchenmänner einfach mehr Ahnung.

Johannes Hartl hat sich übrigens nicht korrigiert, er hat in einem Kommentar zu seinem Video noch nachgelegt.


Warum ich nach dieser Debatte schwarzsehe fürs lila: Weil nicht einmal ansatzweise aufscheint, dass römisch-katholische öffentliche Personen auch anders als reflexhaft und patriarchal über den Paragrafen 218 sprechen könnten. Nachdenklicher, suchender,  selbstkritischer - diese Möglichkeiten scheint es nicht zu geben. Die Zeit wäre reif, öffentlich die Schuldgeschichte, auch die katholische Schuldgeschichte, des Paragrafen 218 anzuschauen. Dass der überhaupt seit 1871 im Strafrecht steht, hat mit Kinderfreundlichkeit und Menschenwürde nichts zu tun. Der Strafrechtsparagraf diente dazu, im Namen von öffentlicher Ordnung und Sittlichkeit über das Leben von Frauen zu bestimmen, nicht allein über den Körper. Er diente auch bevölkerungspolitischen Zielen, weil Schwangerschaftsabbrüche dem Volk künftige Bürger vorenthielten.


Was die heutige Rechtslage – angeblich ein Rechtsfrieden – anbetrifft, so ist es erstaunlich, dass es bei anderen ethisch schwierigen Entscheidungen keine Beratungspflicht im Gesetz steht. Nur bei dieser weiblichen Entscheidung scheint sie unvermeidlich.


Frauen-Geschichten, die fehlen


Einige frauenfeindliche Zerr- und Feindbilder habe ich genannt. Die Zeit wäre jetzt erst recht reif, die Lebengeschichten all jener frommen katholischen Frauen zu erzählen, die einen Schwangerschaftsabbruch knapp oder gar überlebt haben. Die Geschichte all derer, die ein ungewolltes Kind doch zur Welt brachten, die als unverheiratete Mutter als verwahrlost galten und unvermittelbar auf dem sittlichen Heiratsmarkt. Das Wort „Konfliktsituation“ ist viel zu harmlos für die Verzweiflung, für die Entmündigung und für das Unrecht im Namen des Gesetzes und im Namen des katholischen Gottes. In der Literatur kann man einiges darüber lesen, bei Annie Ernaux, in den Bauerndramen von Franz-Xaver Kroetz, in Richard Yates "Zeiten des Aufruhrs". Es gäbe noch immer genug reale Frauen, die davon erzählen könnten. In den Wortbeiträgen zu Großdebatten fehlt diese Perspektive völlig. Als sei Menschenwürde ein Konjunktiv, als zähle der Indikativ des Erlebten nicht. .   

Als Journalistin, die sich viel mit sexualisierter Gewalt beschäftigt hat, muss ich auch das noch anfügen: Bei vielen, die sich so laut fürs Ungeborene einsetzen erlischt das Interesse an der Menschenwürde, sobald dem geborenen Kind Gewalt widerfährt, erst recht, wenn diese Gewalt von einem Kleriker ausgeht. Wenn eine Frau von einem Priester schwanger wird und der Geistliche zur Abtreibung drängt, gilt der bischöfliche Schutz dem Gottesmann, siehe den noch immer aktuellen Fall Karin Weißenfels.


Zart formuliert: Ich werde den Verdacht nicht los, dass es eben doch nicht um eine kinderfreundliche Gesellschaft geht. Es geht weiterhin um Kontrolle über die Frau, über ihren Körper, über ihr Leben, um die Festlegung auf das Projekt Mutter.


Lila Erzählgemeinschaft


Diesen Vortrag habe ich inmitten meiner Regale mit der Farbe lila Lavendel stark&schimmernd geschrieben. Lavendel kann ja beim Einschlafen helfen. Aber ich bin des Frauendingses nicht müde, auch wenn die politische und kirchliche Situation so ist, wie  wie ich sie beschrieben habe.



ree

Foto: Domschatz Essen.


Was heißt Weiberaufstand?


1.    Die Lehramtsinhaber wollen keine Gleichberechtigung. Das sagen sie nicht offen, denn einen Wille gibt es nicht, Macht gibt es nicht, nur Dienst. Das Frauendings ist eine Machtfrage. Ginge es um Argumente, sähe die Lehre anders aus. Die Argumente für Gleichberechtigung liegen offen da, vielfach entfaltet. Diesen fehlenden Willen zu erkennen und zu benennen, verändert noch nicht das Ergebnis, aber das Verhalten: keine Dankbarkeit für Gönnerhaftigkeit, kein Lob für Bischöfe, die irgendwas mit Ich-kann-mir-Diakoninnen vorstellen säuseln.


Frauen haben als Mensch ein Recht darauf, sich in vielen Möglichkeiten zu denken. Diese Würde, diese Freiheit, diese Selbstbestimmung, wird ihnen mit Verweis auf ihre natürliche Bestimmung verwehrt. Nochmal: Rechte werden ihnen versagt und nicht bloß Ämter und Weihen.


Viele Frauen lassen sich einreden: Ich will doch gar nicht Priesterin werden, ich bin doch gar nicht diskriminiert. Lila heißt aber nun gerade: Solidarisch sein, auch für Möglichkeiten streiten, die ich selbst nicht nutzen möchte. Eine Möglichkeit ist kein Muss. Ich muss ja nicht Kanzlerin werden wollen, aber ich bin sehr dafür, dass nicht nur Männer zu politischen Ämtern zugelassen werden. 


2.    Weiberaufstand heißt auch: bestimmte Fragen zurückweisen. Eine dieser Fragen lautet: Was wird denn besser, wenn nun auch Frauen Macht ausüben und missbrauchen können? Denken Sie an die Warnunger vor einer Klerikalisierung, denken sie an den Heiligen Augustinus und an Franziskus' Nützlichkeitsüberlegungen. Gleichberechtigung muss nichts „bringen“ - außer Gleichberechtigung. Sie muss nicht das Leben von Männern verbessern, sie muss nicht die Unternehmensperformance verbessern. Den Satz „gemischte Teams arbeiten besser“ würde ich in diesem Kontext auch streichen. Frauen müssen nichts beweisen.   


Wir sind hier im Essener Domschatz an einem Frauenort, die Geschichte des Frauenstifts hat mir Rainer Teuber, dem ich diesen Einladung verdanke, vorhin erzählt. „Starke Frauen“, mächtige Äbtissinnen, mutige Frauen der Bibel – es ist wichtig, das zu erforschen, das darzustellen, zu sagen, was war und wie es wirklich war.


Kritisch sehe ich, wenn diese Forschung in der Debatte um Gleichberechtigung benutzt wird, um zu sagen: Schaut mal, Frauen können auch klug sein, sie können gut regieren, ihr Gehirn ist gar nicht zu klein, ihr Wesen ist gar nicht immer hysterisch. Stark&Schimmernd heißt der Lack. Gleichberechtigung ist nicht an die Bedingung geknüpft, dass Frauen stark&schimmernd sind. Wer Schwach&matt ist, hat dieselben Rechte.   


Ein letzter Punkt: Weiberaufstand heißt auch Zuhören. Das Wort Zuhören hat in den vergangenen Jahren eine große klerikale Karriere gemacht. Bei der Weltsynode wird zugehört, Bischöfe lassen sich beim Zuhören fotografieren. Es gibt einen regelrechten Zuhörnarzissmus.


Zuhören bedeutet allerdings nicht, die Worte des Gegenübers mit einem gelegentlichem „hm, interessant“ zu bedenken. Aktives Hören verändert etwas. Wenn ich von einem Unrecht höre und in einer Führungsposition bin, verändere ich danach, was in meiner Macht steht. Dieser Punkt ist nach der ganzen Zuhörerei nun wirklich nicht eingetreten.


Im kirchlichen Diskurs um Reformen und Nicht-Reformen erscheint es oft so, als gehe es um Verhandlungspakete zwischen Konservativen und Progressiven. Es geht aber nicht um ein paar Prozentpunkte bei Steuern, es geht um konkrete Menschen mit ihrem einzigen Leben. Vielen Menschen wäre viel Leid erspart geblieben und bliebe viel erspart, wenn sie nicht diskriminiert würden in Lehre und Praxis. Der Appel an die Geduld ist respektlos. Was in einer 2000jährigen Kirchengeschichte ein Wimpernschlag sein mag, ist für den Einzelnen das ganze Leben.


Ich halte es für wichtig, biografisch zu arbeiten, zuzuhören, aufzuschreiben, zu sammeln. „Erzählen als Widerstand“ heißt ein Buch über weibliche Missbrauchsbetroffene. Erzählen ist tatsächlich Widerstand, Weiberaufstand angesichts all der unerzählten Geschichte über das Unrecht gegenüber Frauen, damit meine ich keineswegs allein sexuellen Missbrauch, sondern die ganz alltäglichen Abwertungen.


Mein jüngstes Buch Keinzelfall erzählt die Biografie eines Mannes, eines ehemaligen Heimkindes. Als Junge wurde er in einer Einrichtung der Caritas misshandelt und missbraucht wurde und bis heute um Aufarbeitung kämpft.  Ich weiß durchaus, dass nicht ausschließlich Frauen Unrecht geschieht. Aber die römisch-katholische Kirche tut Frauen systematisch Unrecht an, einfach deswegen, weil sie weiblich sind.


Weiberaufstand heißt für mich, das Unrecht zu benennen, immer wieder von vorn anzufangen. Den Herren nichts durchgehen lassen. Weiberaufstand heißt zugleich: Lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit. Sensibel bleiben für das, was die Ordnung im Leben von Menschen anrichtet, übrigens auch im Leben rechtskatholischer Menschen.


Der Weiberaufstand wird für mich zunehmend zu einer Erzählgemeinschaft. Die erlebten Geschichten sammeln, aufschreiben, veröffentlichen, damit sie nicht verloren gehen. Wer schreibt der bleibt, sagte meine Oma immer.


Blocken&Halten heißt die Grundierung ohne Anschleifen. Die Lehre wird nicht abgeschliffen, aber davon zu erzählen, wie es wirklich ist mit dem Frauendings hat eine hohe Deckkraft. Die Geschichten kriegt man nicht mehr aus der Welt. Mein Lila Lack hält tatsächlich, kein Schwarz schimmert durch.

 
 
 

Kommentare


© 2017 by Christiane Florin
bottom of page