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Freiheiheiheiheiheit

Aktualisiert: 3. Juni 2020

Reinhard Marx ist der Marius Müller-Westernhagen unter den Bischöfen. „Freiheit“ heißt sein neues Buch. Der Titel lädt dazu ein, sich wunderkerzenschwenkend vor die Mauern des Vatikans zu stellen. Freiheiheiheiheiheit – ist das einzige, was zählt.



Die katholische Kirche ist keine Diktatur, keine DDR in der Endphase, kurz vor dem Mauerfall. Sie hat als autoritäres System viele Diktaturen überlebt. Sie fremdelt mit der Demokratie. In ihr mischen sich Kaplanokratie, Monarchie und Restbestände charismatischer Herrschaft. Diese Gedanken sind nicht bei Westernhagen geklaut, sondern bei Weber. Max statt Marius. Was von außen wie Willkür aussieht, wird nach innen mit dem Willen Gottes, Jesu oder des Heiligen Geistes gerechtfertigt. Maria hat keinen Willen.


Freiheitsgeschichte als Irrweg“


Die Wörter „autoritär“, Willkür und Herrschaft kommen in Reinhard Marx‘ Buch zwar kein einziges Mal vor, wenn es um die Beschreibung der Kirche, seiner Kirche geht. Aber er gesteht ein: Die katholische Kirche hat ein ernsthaftes Problem mit der Freiheit. Wörtlich: „Bis in meine Kindheit und Jugendzeit hinein (und zeitweise auch noch bis heute) erscheint in Predigten und Hirtenworten von kirchlichen Amtsträgern die Freiheit als etwa Gefährliches und Suspektes…. Ich bin überzeugt: Für Kirche und Gesellschaft entscheidet sich an dieser Frage vieles. Es geht dabei nicht um die Zukunftsfähigkeit der Kirche im Sinne einer Anpassung des Glaubens an den Zeitgeist. Davon halte ich selbst nichts, doch das sind ja auch nur schemenhafte Schattenkämpfe. Gleichwohl geht es nicht an, die Freiheitsgeschichte der modernen Welt als Irrweg zu verdammen oder gar als Bedrohung des Glaubens und der Kirche zu sehen.“

Boah, ey!, haben wir früher in solchen Momenten gesagt.


Ein Kardinal, der keine kulturpessimistische Litanei anstimmt, ein Würdenträger, der das Hohelied der Demokratie singt – damit wirkt Marx auch heute noch in der katholischen Kirche wie ein Easy Rider. Andere rotbehütete Herren wispern gerade „Die Wahrheit wird euch frei machen“, ein Verschwörungschoral wider die Demokratie. Sie blicken von der Empore auf die anderen herab.

Marx dagegen erhebt sich nicht über die Welt da draußen. Er will sich auf sie einlassen und blickt auf seiner Tour mit einem halbwegs verzerrungsfreien Rückspiegel in die Kirchengeschichte: Freiheitsrechte, schreibt er, seien eher gegen als mit der Kirche durchgesetzt worden. Die päpstliche Verdammung der Menschenrechte im "Syllabus Errorum" lässt er dankend hinter sich. Er trauert der Kirche des 19. Jahrhunderts - dem Haus voll Glorie - nicht nach. Auch das kann man nicht von jedem ranghohen Kleriker behaupten.


Eine neue Phase des Christentums sieht er vor sich. Von einem Auf-Bruch träumt er. Er schreibt das Wort mit Bindestrich, panzerknackermäßig. Turbokapitalismus, Umweltzerstörung, Klimakollaps, Populismus - wir von der brüchigen Kirche hätten der brüchigen Welt etwas anzubieten, hofft Marx. Oft lässt er den Motor viel versprechend aufjaulen, um dann doch schnell bei einem Positionspapier der Deutschen Bischofskonferenz Halt zu machen.


Aber immerhin: Marx zeigt sich als Mann von Welt, als Kleriker, dessen Horizont über das eigene Scheitelkäppchen hinausreicht. Am Wegesrand sind ihm Adorno, Dostojewski, Fukuyama, Goethe, Habermas, Horkheimer, Metz, Rahner, Rilke, Smith und viele andere begegnet. Er grüßt sie, winkt sie freundlich heran, nimmt sie mit auf dem Beifahrersitz, als seien sie alte Bekannte.

Ausflug nach Frankonia


Gegen Ende der Fahrt riskiert der Easy Rider etwas Eigenes: Er bittet ins „ein Fantasieland, nennen wir es "Frankonia":


„Ein neuer Präsident kommt an die Macht und trifft sich mit den Bischöfen des Landes. Er sagt ihnen: »Unser Land ist ein katholisches Land. Wir wollen die christliche Prägung dieses Landes deutlich unterstreichen, ja sogar die katholische Prägung. Und deswegen führen wir zwei neue kirchliche Feiertage ein.« Die Runde der Bischöfe reagiert ganz froh auf diesen Vorschlag. Doch dann spricht der Präsident weiter: »Aber wir müssen doch auch die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken. Da sind viele, die gegen die Kirche reden und auch gegen mich. Das kann so nicht weitergehen. « Nach dieser Aussage müssten die Bischöfe eigentlich vereint antworten: »Danke, aber dann verzichten wir auf die beiden Feiertage.“


Marx fragt: Würden die Bischöfe das tun? Er selbst gewichtet mutmaßlich die Meinungsfreiheit höher als die freien christlichen Tage. Aber die Amtsbrüder?

Die Antwort lässt er in der Schwebe, der Auf-Bruch bricht ab. Verflogen ist das Freiheitspathos der 148 vorangegangen Seiten. Der Autor ist nicht frank und frei genug, um die Frankonia-Fantasie auf die institutionelle Wirklichkeit seiner Kirche zu übertragen. Er benennt nicht das Autoritäre, Willkürliche, Selbststabilisierende. Er schreibt zwar ständig über Spannungsverhältnisse - zwischen Kirche und Welt, Freiheit und Bindung -, aber er weicht einer Vermessung innerkirchlicher Macht- und Druckverhältnisse aus. Wer verdammt drinnen die Freiheit, die Moderne, die Welt da draußen? Was würde es ihn kosten, sich mit denen anzulegen? Und: Warum sollten sich Engstirnige von ihm ins Weite locken lassen? Mit Unfreiheit hat es die Kirche weit gebracht.

Wer dem Übervater nicht huldigt, gilt als Rebell


Die Deutsche Presseagentur dpa hat gezählt, wie oft Reinhard Marx Joseph Ratzinger zitiert (einmal, in Worten: eins) und wie oft Franziskus (30 Mal). Müller erwähnt er gar nicht, jedenfalls nicht Gerhard Ludwig, statt dessen kommt Jan-Werner zu Ehren, der Populismus-Forscher. Das Nachrichtenportal T-Online überschrieb die Agenturmeldung zum Freiheits-Buch mit der Zeile: „Marx holt zum Rundumschlag aus“. So ist das in autoritären Systemen: Freiräume eröffnen sich allenfalls zwischen den Zeilen. Nicht zitiert bedeutet mit dieser Optik: scharf kritisiert. Wer dem Übervater Benedikt nicht huldigt, wer den Glaubenshüter ignoriert, gilt in dieser Kirche schon als Rebell. „Freiheit, Freiheit/ Wurde wieder abbestellt“, singt Westernhagen.

Nun zum Seufzermotiv: Auch auf die Thematik Frau/Stellung der Frau/Frauenfrage/Rolle der Frau in der Kirche geht Reinhard Marx ausführlich ein. Wobei: Genau genommen geht er nicht, er verheddert sich in Papieren, Zahlen und Gremien-Abkürzungen.

Wo das Weib beginnt, hört die Freiheit auf. Der kühnste Easy-Rider-Traum erreicht gerade einmal diese Drehzahl: „Besonders stolz sind wir in der Deutschen Bischofskonferenz auf das Projekt eines katholischen Frauenverbandes, des Hildegardis-Vereins, der die deutschen Bistümer zu einem Mentoring-Programm für Frauen eingeladen hat. Seit 2015 haben mehr als 100 Frauen an diesem Programm aus fast allen deutschen (Erz-)Diözesen teilgenommen und zu einer Veränderung in der Kultur des Miteinanders von Frauen und Männern der Kirche beigetragen.“


Frauen - die Zier im „teamorientierten Leitungsbild“


Joseph Ratzinger wird, wie gesagt, nur einmal im ganzen Buch zitiert. Wenn das eine scharfe Kritik am Großtheologen sein soll, was bedeutet es dann, dass weibliche Gelehrte das Müller-Schicksal erleiden? Marx ignoriert sie. Keine Autorin taucht im Literaturverzeichnis auf, keine Müllerin nirgends. Nicht einmal ein abgeschmacktes Teresa-von-Avila-Zitat wurde freigelegt. Die „schemenhaften Schattenkämpfe“ finden ohne Weiber statt, die Kämpfe im Licht erst recht. Statt dessen also: „Kultur des Miteinanders“.

„Die Kapella Humtata – und der Papst war auch schon da“, spielt Westernhagen dazu.

Wer vom Miteinander spricht, will Machtverhältnisse verschleiern. Frauen mögen bitte die Plätze einnehmen, die ihnen der Bischof gönnerhaft zuweist. Sie zieren das „teamorientierte Leitungsbild“. Dieses Wort verhält sich zu "Freiheit" in etwa so wie Exodus zum Synodalen Weg.

Mehr Freiheit als die, die Marx meint, wird es nicht geben. Deshalb sollten Menschen guten Willens - Frauen und Männer - es miteinander versuchen und gemeinsam auf die Marius' Mauerfall-Melodie die Kardinalsworte singen: „Teamorientiertes Leitungsbild, teamorientiertes Leiheiheitungsbild – ist das einzige was zählt….

Na bitte, geht doch.

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