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Simone im Dom


„Revolution im Kölner Dom“ meldete die Kölner Boulevardzeitung Express am Freitag, den 1. Februar 2019. Und: „Das hat es noch nie gegeben“. 

Das hörte sich zunächst so an, als habe eine Erzbischöfin Maria ihr Amt angetreten. Aber Rainer Maria bleibt. Seine Kathedrale - ja, ich weiß, der Dom gehört sich selbst, aber es schreibt sich eben besser -, also: Seine Kathedrale wird künftig auch von Domschweizerinnen bewacht und verteidigt.  

Zu den Domschweizern habe ich eine besondere Beziehung. 

Ich muss vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, als ich mit Mutter und Tante eine Reise nach Köln machte. Voll bepackt mit Einkaufstüten gingen wir in den Dom, weil meine fromme Tante befand, wir müssten, bevor wir beim Früh einkehrten, einen Kerzchen an der Mutter Gottes anzünden. Aus Dankbarkeit dafür, dass wir so schön bei Hettlage in der Schildergasse eingekauft hatten und weil so viele Kinder auf der Welt keinen Halven Hahn essen könnten. Als wir nach kurzem Innehalten zu den Tüten greifen wollten, waren die weg. Geklaut.

Die rheinische Contenance - Watt fott ess, ess fott - kam uns in diesem Moment abhanden. Ich heulte und war geneigt, mich bei der Mutter Gottes zu beschweren. Meine Tante zündete schon das nächste Kerzchen an und betete zum heiligen Antonius. Meine Mutter sprach den Domschweizer an, einen Mann im gut gefüllten roten Umhang. Ob er etwas gesehen habe, fragte sie ihn. Das Holzkistchen mit dem Schild "Für den Dom" bebte vor seinem Bauch, er ruderte mit den Armen: "Hier ist Beichte! Hier ist Beichte!" Er wehrte sie ab, als stehe die Leibhaftige vor ihm. Meine Mutter, an sich nicht bang, wich zurück. 

Mehr Drama im Wohnzimmer

Wir Kinder vom katholischen Dorf spielten ab und an im Wohnzimmer Heilige Messe. Nach diesem Kölner Klau-Erlebnis bekam unsere Liturgie mehr Drama. Wir bereicherten das Ensemble um einen Mann im roten Umhang, der Unbefugten den Zutritt mit "Hier ist Beichte! Hier ist Beichte" verwehrte.

Das ist mehr als 45 Jahre her, aber den aktuellen Worten des Dompropstes ist zu entnehmen, dass sich das Sensibilitätsdefizit von damals nicht erledigt hat. "Wir wünschen uns am Dom Aufsichtskräfte, die ihren Aufgaben mit Leidenschaft, Menschenkenntnis und Sensibilität nachgehen", sagte er. "Ich bin überzeugt davon, dass Frauen uns in diesem Feld bereichern können." 

Demnach hätte uns eine Domschweizerin getröstet und gesagt: "Materielle Dinge sind doch nicht alles. Vielleicht braucht ein anderer Menschen die Hettlage-Kleider viel dringender als ihr." Vielleicht hätte sie aber auch gerufen: "Haltet den Dieb!" Jedenfalls müssen Frauen etwas anders machen, sonst sind sie keine richtigen Frauen. Mit den Worten des Dompropstes: „Wir glauben, dass Frauen und Männer sich insgesamt in dieser Tätigkeit gut ergänzen würden, so wie in den anderen Arbeitsbereichen an der hohen Domkirche: in der Sakristei, in der Schatzkammer und in der Turmbesteigung.“ Die klassisch katholische Geschlechterkomplementarität bleibt so betoniert wie die Platte vor der Kathedrale: Domschweizer wedeln mit den Armen, Frauen nehmen in den Arm. Das andere Wesen bleibt das andere Wesen. So baut man Forderungen nach Weiheämtern vor.

Nicht nehmen, nur annehmen

Ich weiß nicht, ob Jesus Domschweizerinnen ins Orgateam der Brotvermehrung aufgenommen hätte. Kathedralen, Ämter und Zulassungsbedingungen kommen in seinen Worten nicht vor. Ich glaube aber zu wissen, was die Heilige Simone de Beauvoir von der Sache hält. Die missbilligt in ihrem Buch "Das andere Geschlecht", dass Frauen sich nichts nehmen, sondern nur annehmen dürfen.

Die katholische Kirche ist gerade voll von Männern, die mit Tam Tam hergeben, was Frauen nie gefordert haben. Dabei wäre der eine, der wirklich andere Satz so übersichtlich, dass ihn Domschweizer auf ihre Kollektekistchen kleben könnten: "Frauen sind zu allen Ämtern und Diensten der Kirche zugelassen".  

Ein braves katholische Mädchen ist dankbar dafür, dass sich nun auch weibliche Wesen bei der Rendantur der Hohen Domkirche um die roten Mäntel mit den schwarzen Samtsäumen bewerben können.

Ne fiese Möpp

Meine gottesfürchtige Tante hätte dem Domschweizer damals fast ihre letzten Münzen ins Kästchen geworfen. Fast. Sie zog zurück, als meine Mutter einen unübersetzbaren Satz sagte: "Su ne fiese Möpp". Zum Wort "Möpp" - so in etwa "mieser Typ" - gibt es kein weibliches Gegenstück. Der Dialekt ist klug genug, um nicht alles in die Komplementarität der Geschlechter zu zwingen.

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