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Die Frauen mit der Kittelschürze oder Dat darf dat


Dankesredes anlässlich der Verleihung des Maria Grönefeld Preises, 8. November 2019

Maria Grönefeld kannte ich nicht, bevor ich von diesem Preis erfuhr. Als ich ihre Biografie gelesen habe und vor allem, als ich die Familienfotos darin sah - die Frauen mit der Kittelschürze -, dachte ich: Diese Welt ist mir vertraut, das ist die Welt meiner Eltern und damit auch meine. Die Welt der Eltern, die Welt von Maria Grönefeld, das bedeutete: eine Kindheit im Krieg, acht Jahre Volksschule, mit 14 in den Beruf. Keine andere Wahl.

 Foto: Thomas Hohenschue

Maria Grönefeld engagierte sich in der Christlichen Arbeiterjugend, die damals noch strikt in Frauen und Männer getrennt war. Wenn in meiner Familie nicht gearbeitet wurde, hieß es: Christenlehre, Sonntagsmesse, Kirchenchor, Kolping, katholische Frauengemeinschaft. Meine Großmutter, so erzählt die Familienlegende, hatte sieben Kinder und war bis zu ihrem Tod mit 83 Jahren Mitglied der Jungfrauenkongregation. Ein biblisches Wunder, das sich zutragen hat in Niederkassel-Mondorf am Rhein.

Funkemariechen braucht Maria 2.0

Ich bin ein Arbeiterkind. Weder bin ich darauf stolz, noch schäme ich mich dafür. Ich vergesse es nicht. Diese Prägung ist der Grund dafür, dass mich dieser Preis nicht nur freut, sondern dass er mich anrührt.

Frauen wie Maria Grönefeld ist es zu verdanken, dass Mädchen aus Arbeiterfamilien eines Tages dann doch die Wahl hatten, anders die meisten unserer Mütter und Großmütter. Dass wir uns nicht mit der Dreifaltigkeit Kinder, Küche, Kirche abspeisen lassen mussten. Zugegeben: Im Rheinland war es eine Vierfaltigkeit – Kinder, Küche, Kirche, Karneval. Aber Funkemariechen sind eher Maria 0.0 als Maria 2.0. Sie dürfen keinesfalls aus der Reihe tanzen.

Frauen wie Maria Grönefeld ist es zu verdanken, dass Frauenarbeit nicht nur bedeutet, Höheren Töchtern im Internat die Nachtöpfe zu leeren oder als „Alleinstehende“ in der Dynamit-Fabrik zu schuften. Beides kenne ich aus meiner Familie.

Frauen wie Maria Grönefeld ist es zu verdanken, dass wir Weiber nicht nur fragen: Was muss ich? Wir fragen: Was will ich, was kann ich?

Wir hatten ja nix

Meine Tochter ist 17 Jahre alt, mein Sohn 14. Sie sind keine Arbeiterkinder mehr. Natürlich wollen sie die alten Geschichten nicht hören vom Aufstiegsversprechen, mit dem ich in den 70ern groß geworden bin: lernen, sich anstrengen, fleißig sein. Es mal besser haben. Sie winken ab, so wie ich als Jugendliche abgewinkt habe, wenn die Verwandtschaft bei Namenstagen endlos vom kalten Winter 47 erzählte, von der schlechten Zeit nach dem Krieg, als ein Kölner Kardinal ausnahmsweise einmal etwas erlaubte. Den Kohlenklau, Fringsen genannt. Immer fiel bei eierlikörseligen Erinnerungen der Satz: Wir hatten ja nix.

Ich bin ein Arbeiterkind, ich vergesse es nicht. Aber ich wollte diese Welt der Kittelschürzen hinter mir lassen. Journalistin werden, nicht Fabrikarbeiterin. Die Kirche im Dorf war für Dorfkinder wie mich ein selbstverständlicher Teil des Lebens. Sie war da, sie war nah. Es wäre gelogen zu behaupten, allein die Frömmigkeit hätte uns dorthin geführt. Ballett und Reiten war etwas für die Beamtenkinder, deren Väter in der damaligen Hauptstadt Bonn beim Bund beschäftigt waren („beschäftigt" sagten die Erwachsenen immer. Ob Beamte im Sinne der Arbeiterklasse arbeiteten, wusste man nicht so genau). Die nicht ganz so Schönen und Reichen trafen sich in der katholischen Landjugend KLJB. Wir flochten Makramé, brühten Tee und manchmal wehte mit den Räucherkerzenschwaden das Wort Befreiungstheologie herüber. Das kam von den älteren, linkeren. Wir waren zu brav dafür, ich erst recht. Ich spielte Kirchenorgel, bevorzugt Marienlieder, die mir zwar nicht gefielen, die aber Frauen wie Männer zum Weinen brachten.

Wir haben nicht gekämpft, wir haben gestrickt

Um es kurz zu machen: Es war Mitte der 80er nicht abzusehen, dass ich dreißig Jahre später ein Buch namens „Weiberaufstand“ schreiben würde. Meine Oma würde 50 schmerzhafte Rosenkränze beten vor Scham, wenn sie es läse.

Aber: Auch wir Braven von der Landjugend haben damals geglaubt, den Altar erobern zu können. Wir haben nicht gekämpft. Wir haben gestrickt – übrigens nicht nur in der Teestube, sondern auch während des Religionsunterrichts an der Klosterschule. Wir dachten: Diese Kirche ist zwar noch langsamer in Sachen Gleichberechtigung als die Gesellschaft, aber sie wird sich verändern. Auch deswegen, weil wir uns verändern. Schuldgeld gab es - gelobt sei die SPD - in den 1970er nicht mehr; einige von uns gingen aufs Gymnasium, wollten studieren. Ich besuchte jene Ursulinenschule, in deren Internat meine Großmutter 60 Jahre früher die Nachttöpfe der Höheren Töchter gesäubert hatte. An dieser Nonnenschule sagte eine Ursulinenschwester: „Mädels, verlasst euch bloß nicht auf einen Kerl“.

Feminismus war damals bei uns auf dem Dorf nur als Karikatur angekommen, als Männerschreck. Die lila Latzhose gab es als Karnevalskostüm. Wir Klosterschülerinnen hatten Simone de Beauvoir mit 17 nicht gelesen. Noch nicht, genauer gesagt. Bildung befreit. Denn Deutschlehrerin sei Dank wusste ich immerhin, dass es diese Frau und diese Ideen gab.

Wir von der Landjugend waren uns einig: Wir wollten nicht jene Ehefrau und Mutter werden, die beim 60. Geburtstag ihres Mannes ein Danke entgegennimmt, weil sie stets still im Hintergrund gewirkt und ihm pünktlich zur „Sportschau“ die Kinder vom Hals gehalten hat.

Verachtung wächst sich nicht raus

Arbeiter würden mit Schlagern bei Laune gehalten, damit sie für den Kapitalismus verwendbar blieben, schrieb Theodor Adorno. Noch so einer, dessen Namen ich in der Schule kennenlernte und dessen Ideen am Horizont aufschienen.

Bei uns Zuhause wurde tatsächlich Schlager gehört. „Mit 17 hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume in den Himmel der Liebe“. Wenn ich meine 17er-Träume bilanziere, würde ich sagen: Das mit dem Journalismus hat geklappt. Das mit dem friedlichen Stricken für die Gleichberechtigung in der Kirche - nicht.

Ich musste fast drei Mal 17 werden, damit mir auffiel, dass wir damals in der Teestube auf klerikale Lauf- und Luftmaschen reingefallen waren. Die Verachtung für Frauen sitzt so tief, die Geschichte der Abwertung ist so lang – das wächst sich nicht einfach raus. Das lässt sich auch nicht damit ausgleichen, dass Maria hoch verehrt wird. Tote Frauen können in der katholischen Kirche alles werden. Lebende nicht.

Menschliche Würde heißt aber zunächst genau das: Sich in möglichst vielen verschiedenen Möglichkeiten denken zu dürfen. Das ist keine neue Idee, kein Zeitgeist, wie in bestimmten Kirchenkreisen behauptet wird. Das kann man schon bei Pico della Mirandola in seiner Rede über die Würde des Menschen nachlesen, Ende des 15. Jahrhunderts. Er leitet diesen Gedanken auch aus der Bibel her. „Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen“, sagt Gott zu Adam. Zu Eva sagt sie das gewiss auch.

Drei epochale Erkenntnisse

Es geht im Weiberaufstand nicht allein darum, ob Frauen Priesterinnen werden dürfen. Es geht nicht einmal allein um Frauen. Es geht um Würde und Recht, und darum, ob diese Institution, in deren Liturgie von würdig und recht an prominenter Stelle die Rede ist, Menschen aufrichtet oder abrichtet, ob sie ihnen Möglichkeiten eröffnet oder feste Plätze zuweist.

Wo wir gerade von Dreifaltigkeit reden: Durch knallharte Recherchen, wie sie wahrscheinlich nur eine erfahrene Journalistin des Deutschlandfunks vollbringen kann, habe ich dreierlei Epochales herausgefunden: 1. Es gibt Frauen schon so lange wie Männer. 2. Es gibt so viele Frauen wie Männer. 3. Es gibt Frauen schon länger als Bischöfe.

Was ich nicht herausgefunden habe: warum die katholische Kirche in Gestalt von Bischöfen und Päpsten noch immer so tut, als seien diese Weiber gerade entdeckte Wesen, deren Gefahrenpotenzial in immer neuen Kommissionen ergründet werden muss. Gerade hat die Amazonas-Synode wieder einen Prüfauftrag erteilt.

Auch heilig gesprochene Päpste können irren

Wir – Frauen wie Männer, Katholikinnen wie Katholiken - werden für dumm verkauft, klein gehalten. Amts-Autorität zählt mehr als das Argument. Selbststabilisierung der Institution wird als Souveränität verkauft. Wahrhaft souverän wäre es, wenn die Spitze dieser Institution speziell Frauen um Entschuldigung bitten würde. Souverän wäre es, umzukehren und zu sagen: Päpste - auch heilig gesprochene - können irren. Wir haben euch Weibern Unrecht getan. Männer und Frauen sind hinfort gleichberechtigt. Ohne Wenn und Aber.

Es ist keine akzeptable Entschuldigung, darauf zu verweisen, dass Gleichberechtigung auch in der Gesellschaft nicht verwirklicht ist. In der katholischen Kirche ist sie nicht einmal theoretisch vorgesehen. Dabei wäre dieser eine Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtig“ eine Vision vor allem für jene Länder, in denen Frauen unterdrückt sind. Diese Unterdrückten spüren sehr genau, dass die katholische Weltkirche zwar Gleichberechtigung und Demokratie von anderen fordert, sie aber in den eigenen Heiligen Hallen missachtet. Wer auf die Weltkirche verweist und damit meint „Da kann man nix machen“, macht sich gemein mit den Unterdrückern der Frauen.

Darf die das überhaupt?

Ich bin ein Arbeiterkind, das vergesse ich nicht. Ich vergesse es auch deshalb nicht, weil der Weiberaufstand eine argumentative Akkordarbeit ist. Drei Sätze aus meiner Fabrikation möchte ich herausgreifen, die zwischen Nordstrand und München, Köln-Junkersdorf und Beuel-Süd immer eine besonders starke Resonanz beim Publikum hervorrufen: 1. Wenn man mit dem Kopf gegen die Wand rennt, ist das Problem nicht der Kopf, sondern die Wand. 2. Diejenigen, die unterm Kreuz wegliefen, bekommen das Amt; diejenigen, die geblieben sind, das Ehrenamt. Und 3. – immer ein krachender Lacher: In der katholischen Kirche gibt es keine Macht, da gibt es nur Dienst und Demut.

Als das Buch 2017 erschien, wurde in den Rezensionen nie gefragt: Wie argumentiert die Autorin? Kann man ihren Thesen zustimmen oder muss man widersprechen?

Die typisch katholische Frage ist eine andere. Sie lautet: Darf die das überhaupt?

Dat dat dat darf! So staunt man im Rheinland (Hochdeutsch: Dass das das darf! Die Frau wird im rheinischen Dialekt gern zu „das“ oder „es“ versachlicht).

Ja, dat darf dat!

Danken dürfen

Ich danke der Maria Grönefeld Stiftung, dass ich diesen Preis entgegennehmen darf. Dass die Jury den Weiberaufstand so sieht, wie ich ihn meine: Nicht nur als Streitschrift gegen die Diskriminierung von Frauen, sondern als Streitschrift für das freie Wort, die freie Wahl, die freie Frau.

Ich danke Thomas Schüller, für seine spitze, gewitzte Laudatio. „Zeugin des Evangeliums“ hat mich noch niemand genannt, das muss ich erst einmal verarbeiten.

Maria Mesrians Laudatio hat mich völlig überrascht. Ich bin keine Aktivistin, spreche nicht auf Kundgebungen und führe auch keine Märsche an. Das verträgt sich mit meinem Verständnis von journalistischer Unabhängigkeit nicht. Aber Gedanken wirken weiter. Wenn andere weiterdenken, kann etwas Sichtbares daraus entstehen. Maria 2.0 ist da und sichtbar und nicht mit den üblichen Mitteln - Einschüchterung, Drohung, Ignoranz - zu stoppen. Danke an Maria 2.0 und an diese spezielle Maria heute Abend.

Großen Dank schulde ich der hohen katholischen Geistlichkeit zwischen Papst Sixtus V. und Papst Franziskus. Sie hat mir immer wieder Pointen geliefert zum wahren Wesen der Frau. Pointen, die ich nicht besser erfinden könnte.

Dem Deutschlandfunk, speziell meiner Chefin Karin Fischer, danke ich für die Freigeistigkeit in diesem Haus. Das ist nicht selbstverständlich.

Ich danke meinen Leserinnen und Lesern. Viele lassen mich wissen, dass sie sich ermutigt fühlen, was auch mich ermutigt.

Besonders danke ich meinem ersten Leser, meinem Mann.

Kinder, Küche, Kirche – ich bitte ihn und unsere beiden Kinder um Vergebung für all die sonntäglichen Mittagessen, die ich nicht aufgetischt habe, weil ich dringend irgendeine Debatte auf facebook anzetteln musste.

Den Preis widme ich all den Frauen mit der Kittelschürze, denjenigen, die abgekämpft sind und denjenigen, die sich nicht haben abspeisen lassen. Ich widme ihn besonders einer Frau mit Kittelschürze, nämlich meiner Mutter.

Ich bin ein Arbeiterkind. Ich vergesse es nicht. Wir hatten ja nix - das habe ich oft gehört. Aber nie fiel der Satz: Da kann man nix machen. Weiberaufstand heißt: Hinfallen, Kittelschürze glattziehen, den Kragen des Blaumanns richten, aufstehen und weitermachen.

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