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Wir sind nicht Ackermann

Aktualisiert: 7. Jan. 2020


Der Galaterbrief wird Wirklichkeit: Ich kenne nicht Männer und Frauen, nicht Geweihte und Ungeweihte, wir sind eins im Leib Christi, der Körperschaft des Öffentlichen Rechts. Bischof Stephan Ackermann verkündete vor wenigen Tagen: Sollte es Entschädigungszahlungen für Missbrauchsbetroffene geben, dann werden sie aus der Kirchensteuer bezahlt werden müssen. Andi Scheuers Autobahnen würden ja auch von allen finanziert, argumentierte er.

Vergleiche aus dem Wortfeld Autobahn gehen meistens schief. Anders als Eva Herman muss Stephan Ackermann dafür nicht einmal Hitler an den Start bringen. Für die "saloppe und unpassende" Wortwahl hat er sich mittlerweile entschuldigt, inhaltlich bleibt er in der Spur: Die Solidargemeinschaft soll zahlen. Das heißt: Wir sind Kirche. Wir sind Missbrauch.

Die Ankündigung ist ebenso unglaublich wie erwartbar. Wenn es eng wird, weitet sich das klerikale Ego zum Wir. Bohrend beugt sich der ontologisch daseinsverwandelte Würdenträger zum gemeinen Volk herab und fragt: Haben wir nicht alle weggesehen? Müssen wir nicht alle eine Kultur des Hinschauens entwickeln? Beliebt ist auch die falsche Alternative: Wollen Sie etwa nicht, dass Missbrauchsbetroffene mit einer Summe entschädigt werden, die mehr ist als ein Almosen?

Wer nicht gefällt, bekommt kein katholisches Geld

Doch, ich will, dass Entschädigungen gezahlt werden. Und: Ja, viele haben weggesehen, nicht nur Generalvikare, Bischöfe, Kurienkardinäle und Päpste. Auch Gemeindemitglieder haben sich für beschuldigte Geistliche ans Pfarrheim gekettet und die Opfer ignoriert, weil der Herr Pastor doch immer so nett war. Betroffene mit ihren Geschichten stören bis heute das gemütliche katholische Beisammensein an der Basis.

Aber allem Gesäusel über das Miteinander der Getauften und Gefirmen zum Trotz ist die katholische Kirche in Deutschland wie dem Erdkreis ein autoritäres System. Amtsinhaber, auch die jovialen, beziehen ihre Legitimation von oben - von Gott und seinem angeblichen Stellvertreter. Bischöfe, auch die netteren, verfügen über eine umfassende Leitungsgewalt. Dazu gehört, dass sie Kirchensteuer steuernd einsetzen können: Wer nicht gefällt, bekommt kein katholisches Geld.

Die Machtfülle verhält sich umgekehrt proportional zur Verantwortung. Kleriker sind Laien keine Rechenschaft schuldig. Bischöfe machen das Recht, über das sie wachen. Wenn ich die Statuten des synodalen Weges recht verstehe, geht der deutsche Episkopat selbstverständlich davon aus, dass One-Man-One-Vote in der katholischen Kirche nicht gilt. Zwei-Drittel des Plenums sind zu wenig, um einen Beschluss zu fassen. Es müssen auch zwei Drittel der Bischöfe zustimmen.

Viel Leitung, viel Gewalt

In der vergangenen Woche ging Werner Thissen mit einem Bekenntnis an die Öffentlichkeit. "Früherer Hamburger Erzbischof über seine Zeit als Verantwortlicher im Bistum Münster" stand über dem Artikel zum Video. Zu besichtigen war das Gegenteil von Verantwortung. Er habe keine Vorstellung davon gehabt, „was für ein Schaden bei einem jungen Menschen angerichtet wird durch Missbrauch“, erklärte Thissen. Dauernd fiel das Wort Personalkonferenz. Die Kirche, so schien es, war zu jener Zeit eine Art Kleriker-Demokratie, in der munter konferiert, beraten und gemeinsam entschieden wurde. Nur "Wir" von der Solidargemeinschaft wurden nicht gefragt.

Ein Ex-Erzbischof hat sich ein Statement abgerungen. Im Unterschied zu anderen Ruheständlern beschuldigt er nicht die 68er, Käthe Strobels Sexkoffer oder den Teufel. Immerhin.

Es gebe keine Alternative zur Finanzierung aus Kirchensteuermitteln, sagt Stephan Ackermann. "Wir" von der Solidargemeinschaft haben nur die Alternative: Entweder Amtsträger, die reden, ohne etwas zu sagen, und Amtsträger, die nichts sagen, in dem sie schweigen. Es gibt viel Leitung, viel Gewalt und wenig - Achtung, schlimmes Wort - Moral. Ich habe vertuscht, ich habe versetzt, ich ziehe daraus die Konsequenzen - wer solche Sätze von hochwürdigsten Herren erwartet, bekommt zu hören: Schwingen Sie sich nicht zur Moralapostelin auf, anderswo wird auch missbraucht.

Die Initiave Maria 2.0 hat gestern in einer Presseerklärung aufgezeigt, wie sich Entschädigung an einen Rest Verantwortung koppeln ließe: Zahlen sollten demnach zunächst die noch lebenden Täter, dann die Bischöfe als verantwortliche Dienstherren mit einem Teil ihres Gehaltes, dann sollen Mittel aus dem Bischöflichen Stuhl verwendet werden. "Wenn dann noch Finanzierungslücken gegeben sein sollten, kann für soziale Zwecke bestimmtes Bistumsvermögen herangezogen werden." Zum Schluss der Erklärung appelliert Maria 2.0 an die Kirchensteuerräte, beantragte Mittel nicht freizugeben.

Sakral-Solidargemeinschaft

Nötig ist darüber hinaus ein Appell an alle, die noch zahlen. Viele Katholikinnen und Katholiken möchten, dass Missbrauchs-Betroffene bekommen, was ihnen wichtig ist: Entschädigung, Akteneinsicht, Aufklärung der Taten, Öffentlichkeit. Ihnen bleibt als Kirchensteuerzahlern verwehrt, was ihnen als Staatsbürger möglich ist. Weder Willensbildung noch Entscheidungsfindung sind in der katholischen Kirche demokratisch. Das System der organisierten Verantwortungslosigkeit haben Bischöfe so gewollt, jedenfalls haben sie nichts Erkennbares dagegen unternommen.

Wer dieses Herrschaftssystem kritisiert, wird über den Willen Gottes und die Sakramentalität des Amtes belehrt. Da ich brav meine Lektion gelernt und den Glauben vertieft habe, würde ich sagen: Die Herren sind in einer Sakral-Solidargemeinschaft, nicht "wir".

Vor einigen Jahren war das "Je suis" in Mode. Jetzt gilt: Je ne suis pas Ackermann.

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