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Warum, zum Teufel, bin ich so geduldig?


Dreimal habe ich die Rede des Papstes gelesen und mich geärgert. Über den Papst, aber vor allem über mich. Die Kollegen von DLF Nova und den "Infos am Mittag" möchten eine Einordnung. Sie möchten wissen, was der Gipfel gebracht hat, welche Maßnahmen folgen werden und was der Papst nun wirklich gesagt hat. Gründlich zu lesen ist also Journalistinnenpflicht. Aber um dieses blamable Dokument zu verstehen, hätte auch ein einziger Lektüredurchgang gereicht: Das erste Drittel verbringt Franziskus dort, wo auch missbraucht wird: in Familien und Sportvereinen, im Internet und an Sex-Tourismus-Destinationen. Also im großen Anderswo. Dann kommt kurz der Machtmissbrauch in der Kirche zu Sprache, wobei es missbrauchte Macht auch in anderen Formen gebe. Er nennt Kindersoldaten und minderjährige Prostituierte.

Hand des Teufels, Hand Gottes

In der Mitte der Rede sieht Franziskus die "Hand des Bösen" am Werk. Das muss das Gegenstück zur Hand Gottes sein, mit der Argentinien 1986 Fußball-Weltmeister wurde. Wobei diese Bemerkung schon in die Kategorie der "ideologischen Polemiken und journalistischen Kalküle" fällt, vor denen der Papst zwischendurch schnell warnt. Danach folgt ein Katalog katholischer Sensationen, die aber anderswo Selbstverständlichkeiten genannt werden dürften: keine Vertuschung mehr, weltliche Justiz, Prävention. Und nicht vergessen: Die Kirche selbst sei "mit ihren treuen Töchtern und Söhnen" auch Opfer.

Von einem Punkt, hinter den nun niemand mehr zurückkönne, spricht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx. Der Präsident der Laien, Thomas Sternberg vom Zentralkomitee der Katholiken, nennt das Ergebnis "einen Anfang". Früher, in der Landjugend, hätten wir jetzt das Lied "Kleines Senfkorn Hoffnung" angestimmt.

Nicht in meinem Namen!

Aber bitte, liebes ZdK, bitte nicht in meinem Namen! Ich bin auch Laiin und habe die Anfangs-Wichtige-Schritt-Wendepunkt-Rhetorik satt. Ich habe es satt, dass Betroffene wie Bittsteller behandelt werden, die auch noch dafür dankbar sein sollen, dass sich wenigstens ein Kardinal ihrer in Rom erbarmt hat. Dass sie draußen vor der Tür bleiben mussten. Wie seit Jahrzehnten.

Thomas Schnitzler, Sprecher der Initiative Missbit und als Kind von einem Priester missbraucht, schlug am Samstag in der DLF-Sendung Streitkultur vor, dass Bischöfe die Konferenz nutzen könnten, um sich selbst anzuzeigen. Aber so weit reichte der Aufklärungswille dann nicht. Niemand ist aufgestanden und hat erzählt, was er getan und was er unterlassen, was er wusste und was er vertuschte. Franziskus, Ex-Erzbischof von Buenos Aires, hätte Ich sagen können, sprach aber ständig majestätisch von "der Kirche". Sein Vorgänger Benedikt XVI. äußert sich zu vielen Dingen, erst recht seit er offiziell nur schweigen und beten will. Er hätte als ehemaliger Erzbischof von München und Freising, als langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst sicherlich einiges zum Thema aus der Ich-Perpektive beizusteuern. Darüber schweigt er tatsächlich.

Die Frage in der Blase

Warum, zum Teufel, geben wir diesem Laden immer wieder eine Chance? Das fragen die Katholikinnen und Katholiken in meiner facebook-Blase. Das frage ich mich auch. In meiner Jugend mochte ich die Jugendarbeit, die Gebete, die Diskussionen, die Musik. Dass da ein Papst Kondome mit mindestens derselben Inbrunst bekämpfte wie den Kommunismus, fand ich skurril. Dass ich Priester kennen lernte, die heimlich eine Freundin oder einen Freund hatten, verbuchte ich unter rheinisch-katholisch. Dass sommers einer der Pfarrer, bei dem ich mir den Kirchenschlüssel zum Orgelüben holte, in knapper Badehose in der Sonne lag, wertete ich als "Jeder Jeck ist anders". Ich spürte aber auch die Verletzungen in meiner Familie: das Minderwertigkeitsgefühl der Geschiedenen, das Leid der versteckt Homosexuellen, die Schmerzen der Ehe-um-jeden-Preis-Bewahrer. Mir war deshalb früh klar: Mit dem, was katholische Sexualmoral heißt, willst du nichts zu tun haben. Schon aus Selbstschutz.

Vor ein paar Jahren habe ich mir die lehramtlichen Dokumente zum Thema Frau vorgenommen. Eine Wucht, wenn man sie am Stück liest: unverschämt, machtbewusst, bevormundend, übergriffig und unterleibsfixiert. Daraus ist das Buch "Weiberaufstand" geworden.

Als Journalistin bleibe ich an der katholischen Kirche dran, denn je mehr diese Institution zur Sonderwelt wird, desto größer wird die Gefahr, dass der Machtmissbrauch unbeobachtet bleibt.

Aber als Katholikin? Warum bist du noch dabei, werde ich immer häufiger gefragt. Ich stammle dann etwas von Nostalgie und Biografie. Aber eigentlich denke ich ganz böse: Wir Geduldigen sind Komplizen.


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