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Die irritierte Frau

Ein Fall von Kanzel-Culture. Laut Informationen der Deutschen Presseagentur dpa haben die Erfurter Domstufenfestspiele nach einer Intervention des örtlichen Weihbischofs Reinhard Hauke die Kostüme verändert. "Weg mit dem Gemächt" stand am Anfang der dpa-Meldung. Und weiter: "Die Domstufen-Festspiele wollen bei weiteren Vorstellungen auf überdimensionierte Penisattrappen an Kostümen verzichten."


Ich musste das Wort "Penisattrappen" zweimal lesen, zunächst hatte ich voll Unschuld an etwas Pferdiges gedacht. Penisatt-Rappen gibt es aber nicht, ergab eine google-Recherche.



Um Penis-Attrappen geht es also, übergroße männliche Zentralorgane am Kostüm. Als ich das verstanden hatte, dachte ich ans durchgefallene Sexualmoralpapier des Synodalen Wegs. Vermutlich bringt ein solcher Anblick klerikales Blut noch mehr in Wallung als jede Partizipations-Attrappe laikaler Mitbestimmung. Der Erfurter Weihbischof hat den Phallus-Verzicht nicht befohlen, er sei mit einer Bitte auf die Festspielleitung zugekommen, erklärte die Theatersprecherin. Der Schnitt fällt offenbar nicht schwer. Dpa zitiert die Theaterfrau mit dem bühnenreifen Ausspruch: "Penisse hin oder her, das Stück lohnt sich - das liegt nicht an dem einen Accessoire."


Dieses Hin oder Her möchte ich mir nicht unbedingt vorstellen. Ich war nah dran, die Meldung beiseite zu legen, da stieß ich auf einen Satz, der bei mir ein gewisses Wallungspotenzial entfaltet:

"Da sich die Frauen im Publikum um ihn (den Weihbischof) herum wegen der besagten Kostüme irritiert gezeigt hätten und er keinen Mehrwert in dem Ausstattungsdetail für das Stück habe erkennen können, habe er sich an den Generalintendanten gewandt."


Der Weihbischof selbst also war - entgegen meiner usprünglichen Annahme - beim Attrappen-Anblick cool geblieben und hatte ganz gelassen den künstlerischen Mehrwert Null berechnet. Aber DIE FRAUEN in seiner Umgebung konnten mit den Riesen-Penissen nicht umgehen. Der Weihbischof - ein ritterlicher Mann.


Der Duft des Patriarchats


Zu meiner Schulzeit hatte ich ein Theater-Abo. Bei vielen Aufführungen wunderte ich mich, warum laut Programmheft jemand fürs "Kostüm" zuständig war. Denn stückunabhängig war die Bühne bevölkert von unbekleideten Männern. Es war die zweite Hälfte der 80er Jahre. In der Bonner Provinz war endlich angekommen, was in Bochum und Berlin 20 Jahre zuvor als Provokation fürs Bürgertum begonnen hatte. Nackte Frauen galten als reaktionär bis faschistisch, nackte, gern auch onanierende Schauspieler vor schwarzer Wand dagegen sollten gesellschaftskritisch gelesen werden. Sogar eine After-Shave-Werbung griff den Trend auf. Das Patriarchat blieb, es roch nur besser.


Später, als ich Kulturredakteurin war, fuhr ich ins Bochumer Schauspielhaus, ins Zürcher Opernhaus, nach Bayreuth. Die Beobachtung "Der hat ja gar nichts an" war keine Zeitungszeile wert, so sehr hatten sich Publikum wie Rezensent*innen daran gewöhnt. Als in der "Meistersinger"-Inszenierung von Katharina Wagner textilfreie Jünglinge aus Kisten sprangen, blieb nicht einmal dem konservatisten Wagalawaia-Getreuen die fränkische Bratwurst im Hals stecken.


Wirklich schockiert war ich eigentlich erst, als ich vor ca. 20 Jahren eine bis obenhin zugeknöpfte, biedermeierliche "Cosi fan tutte" sah. Ausgerechnet Mozarts erotisches Vexierspiel wurde ins Korsett gezwängt. Ich wusste bis dato nicht, dass Kostüme so weit gehen können.


Die Pappkameradin fällt um


Vermutlich sitzen auch bei den Erfurter Domstufenfestspielen Menschen im Publikum, die schon einige Gemächte gesehen haben - in echt und in theatralischer Verfremdung. Penisse hin oder weg: Ich habe den Verdacht, dass es die irritierten Erfurter Frauen gar nicht gibt! Dass sie nur vorgeschoben sind wie eine billige Theaterkulisse. Bläst man dagegen, fallen die Pappkameradinnen um.


Die römisch-katholische Kirche hat sich einiges einfallen lassen, um den Geschlechtsverkehr zu regeln. Akt-Attrapppen sind verboten, da ihnen die Zeugungsabsicht fehlt. Das Schriftaufkommen zum korrekten Einsatz des Gemächts in der Ehe ist höher als das Ulmer Münster. Man könnte erstens auf den Gedanken kommen, dass Kleriker ganz gern den Unterleib vergrößern zwecks genauerer Betrachtung und dass zweitens Dom und Phallus ganz gut zusammen passen.


Der Erfurter Weihbischof ist da offenbar anderer Ansicht. Das ist sein gutes Recht. Nur: Er hätte auch einfach sagen können: "Ich will diese Dinger nicht sehen, ich finde sie geschmacklos." Doch dieser Satz bereitet bekanntermaßen Probleme, denn ein Diener will nicht, er wird gewollt. Also müssen die vermeintlich empfindlichen Weiber herhalten. Sollte ich mich irren, sollte es die irritierten Erfurter Frauen aus der Umgebung des Weihbischofs doch geben: Bitte melden.


Hildegard Knef singt in ihrem Lied "Jene irritierte Auster" von zwei Austern, die ungetauft und namenlos im Nassen wohnen. Die eine gebiert eine Perle, die im "Ausschnitt einer Dame der besseren Gesellschaft" endet. Die andere gebiert bloß eine Auster. Das Ende vom Lied: "Und ward mit ihr/ am gleichen Tag/geeist verspeist/von einem Fernsehproduzenten/ ohne Abitur,/der dort auf Spesen aß,/mit seiner Freundin saß/in einem Kurhotel/bei Travemünde."


So wird aus Irritation Kunst. Vom Esprit der Heiligen Hilde können Kleriker noch was lernen, übers Weib und übers Leben.


Unbestätigten Gerüchten zufolge soll im nächsten Sommer das Stück "Die irritierte Frau" auf den Stufen des Kölner Doms aufgeführt werden. In den Hauptrollen: Kölner Ex-, Noch- und Immer-Noch-Weihbischöfe. Für den Phall, dass eine Rezentin gesucht wird: stets zu Diensten.




















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