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Hello Again Kardinal, Bye-bye Moral

Es war eine sonnige Woche für den Erzbischof von Köln: Am Montag feierte er einen Gottesdienst im süddeutschen Wallfahrtsort Maria Vesperbild, umtost von Applaus. Von einem glanzvollen Comeback schwärmten rechtsgläubige Medien, ganz so, als singe Howard Carpendale mit erhobenem Gold-Kelch „Hello Again“. Dann wurde bekannt, dass Rainer Maria Woelki eine einstweilige Verfügung gegen den Kirchenrechtler Thomas Schüller anstrebt und zwar im Eilverfahren, wie es sich für eine Institution mit Ewigkeitsanspruch gehört. Woelki wehrt sich gegen die Behauptung, er sei vor Juni 2022 mit dem Fall eines prominenten Missbrauchstäters befasst gewesen. Zwischendurch freuten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erzbistums über ein Grillevent mit dem Chef. Zu den Bratwurstschnecken spendierte Petrus, wie man in diesen Kreisen zu sagen pflegt, herrliches Wetter.


Das wahrhaft Himmlische aus dieser Perspektive: Der. Erzbischof. Von. Köln. Waltet. Seines. Amtes.


Alle Schlagzeilen mit den Wörtern „Unter Druck“ hat Rainer Maria Woelki Lügen gestraft. Ein Erzbischof ist über profane medienphysikalische Druckverhältnisse erhaben. Beschäftigte mögen den Aufstand proben und Unterschriften sammeln, einige Stadtdechanten mögen ihren Unmut bekunden: Eine Revolution samt Herrschersturz bleibt aus. Dann geh doch – das sagt sich zu einem nicht so leicht wie zur ausrangierten Geliebten in einem Carpendale-Schlager.


Die Sonne des Presserechts bescheint gütig das katholische Beweisvernichtungssystem


Der Kölner Klerus ist mit dem Wort opportunistisch freundlich beschrieben. Und selbst wenn es anders wäre: Nur der Papst entscheidet. Weder die Geistlichkeit noch – Gott sei‘s geklagt – der Laienstand können einen Bischof abwählen. Die katholische Kirche ist weder Demokratie noch Rechtsstaat, sie profitiert allerdings in Deutschland von beidem. Gerade jene rechtsautoritären Kirchen-Kreise, die Demokratie als modernistisch verachten, bedienen sich freudig der Klage vor Gericht. Mag es auch äußerst unwahrscheinlich sein, dass ein Mann mit dieser Kölner Kirchenkarriere von der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung nichts mitbekommen hat. Seine Anwälte setzen vor Gericht durch, dass er nicht informiert war. Die Sonne des Presserechts bescheint gütig das Beweisvernichtungssystem katholische Kirche, nicht nur in Köln.


Die himmlische Herrschaft hat eine unterirdische Kehrseite. Frei nach Carpendale: Hello Again Kardinal, Bye-bye Moral. Tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden in den vergangenen Jahrzehnten von Kölner Klerikern missbraucht und missachtet. Kein Gutachten hat bisher das wahre Ausmaß erfasst. Vor zwei Wochen stand im Kölner-Stadt-Anzeiger zu lesen, wie Missbrauchs-Betroffene als Glaubwürdigkeitsbeschaffer für ein PR-Konzept des Erzbistums eingespannt werden sollten.


Die Mär von der ach so lustigen rheinischen Doppelmoral


Auf der Kölner Führungsetage ist nicht die ach so lustige rheinische Doppelmoral zu besichtigen, es ist Moral 0.0. , abgesichert durch eine Dreifaltigkeits-Eigenkreation. Die funktioniert so:

1. Was kein Straftatbestand ist, ist nicht der Rede wert.

2. Wenn es ein Straftatbestand sein sollte, ist er verjährt.

3. Sollte die Sache nicht verjährt sein, können höhere kirchliche Amtsträger nicht rechtlich belangt werden.


Andere deutsche Bischöfe halten sich raus. Wie sollten auch ein Ackermann, ein Bätzing, ein Marx, ein Genn beim Amtsbruder aufrichtige Aufarbeitung anmahnen? Wer in der Glaskathedrale sitzt, kann schlecht den Kölner Dom bewerfen.


Die NRW-Landespolitik fühlt sich nicht zuständig. Deren Spitzenkräfte lassen sich zwar kaum noch mit geweihten Häuptern öffentlich sehen, sie lassen aber zu, dass in der Kirche Unmoral regiert, solange sie sozial agiert. Der Staat braucht offenbar katholische Einrichtungen für Arme, Kranke, Geflüchtete.


Empathie-, Reue-, Umkehr-, Aufarbeitungs- und sonstigen Simulationen


Der Aufstand der Anständigen gegen das Versagen der Zuständigen bleibt mal wieder am sogenannten Kirchenvolk hängen. Formal kann es wenig ausrichten. Mögen auch 40 000 Kölner Katholikinnen und Katholiken pro Jahre gehen – die ethische Verkommenheit an der Spitze bleibt. Wer noch immer glaubt, dass nicht alles egal sein darf, dass Wahrheit Wahrheit und Lüge Lüge ist, kann dem falschen Glanz eine eigene Dreifaltigkeit entgegensetzen:

1. Nicht mehr auf Empathie-, Reue-, Umkehr-, Aufarbeitungs- und sonstige Simulationen der Bistumsleitung hereinfallen.

2. Die Arbeit in sämtlichen Beratungsgremien niederlegen.

3. Selbst zum Teil der Aufklärung werden, ehrlich die Geschichte der eigenen Gemeinde recherchieren und herausfinden, wer was wann gewusst hat.


Gut möglich, dass der Kirchenfürst dann seine eigenen Untertanen verklagt.




Der Kommentar wurde am 21. August 2022 im Deutschlandfunk gesendet. Zum Nachhören: https://www.deutschlandfunk.de/die-causa-woelki-im-erzbistum-koeln-moral-nullpunktnull-dlf-a7d4a232-100.html


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