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Jesus war Jurist

Was machte Jesus eigentlich beruflich? Die gängigste Bezeichnung ist Wanderprediger. Davon gab es damals viele, die meisten wurden schnell vergessen. Er wird auch gern "guter Hirte" genannt, obwohl er nicht als Stabschef zahlreicher Schafe umhergezogen ist. Das dürfte also metaphorisch gemeint sein. Womit er seinen Lebensunterhalt verdient hat, ist unklar. Laut Auskunft der Evangelien lebte er bescheiden und ließ sich gern von Sündern einladen. Möglicherweise hat sein sozialer Vater Josef, ein Zimmermann, ihn ab und an ermahnt: "Nun mach doch mal etwas Anständiges, etwas, wovon du eine Familie ernähren kannst, anstatt Irgendwas mit Religion."





Dass Jesus schon als Kind Irgendwas mit Religion vorhatte, ist überliefert: Als er 12 Jahre alt war, suchten ihn Maria und Josef tagelang vergeblich. Lukas berichtet: "Da geschah es, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten. Als seine Eltern ihn sahen, waren sie voll Staunen und seine Mutter sagte zu ihm: Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Da sagte er zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?"


Das Krisengesprächsgesicht


Heute würde die Polizei nach dem Verschwundenen suchen, danach kauften die Eltern wegen der patzigen Rückfrage ihres präpubertären Sohnes das Erziehungsratgeberregal leer oder sie machten gleich einen Termin bei Michael Winterhoff, dem Tyrannen-Verhinderer.


In schwierigen pädagogischen Situationen finde ich die Tempel-Szene tröstlich. Maria, die Supermutter, hat auch schon mal eine suboptimale Frage gestellt. Mein Sohn schrieb aufs Abschiedsplakat der Grundschule ins Feld Berufswunsch: "Ich will reich sein und Youtuber werden". Für eine Zukunft als digitaler Wanderprediger qualifiziert man sich, in dem man so ausdauernd vor dem Computer sitzt wie Jesus im Tempel. Problematisiere ich - mariengleich - das Verhalten des Sohnes, dann gibt er zurück: "Warum hast du schon wieder dein Krisengesprächsgesicht aufgesetzt?" In die nächste Bibel-Einheitsübersetzung sollte das Wort "Krisengesprächsgesicht" aufgenommen werden, das erschließt der frohen Botschaft neue Zielgruppen.


Ich will Priesterweiher werden!


Es gibt eine Fraktion in der katholischen Kirche, die das mit Jesu Beruf bisher nicht so pragmatisch gesehen hat wie ich. In den vielfältigen Diskussionen rund um den "Weiberaufstand" höre ich oft aus einer Ecke: Jesus hat diese Kirche gestiftet! Er hat nicht gewollt, dass Frauen Priesterinnen werden! Er hat nur Männer geweiht.


Jesus war demnach hauptberuflich Kirchenstifter und Priesterweiher. Hätte mein Sohn aufs Abschlussplakat der Grundschule geschrieben: "Ich will Kirchenstifter und Priesterweiher werden", hätte ich mir mehr Sorgen gemacht als beim "Youtuber". Glaubt man die Geschichte mit dem Stifter und Weiher, dann ist die katholische Kirche eine gottessohnliche Gründung. Das heißt unter anderem: Sie kann nicht mit sozial- und politikwissenschaftlichen Kriterien beschrieben werden. Überlegungen zu Machtverteilung und Machtkontrolle erübrigen sich, weil es keine weltliche Macht gibt, sondern nur überweltliche Übermacht. Wo keine Macht, da kein Machtmissbrauch. Göttlich, diese Logik.


Ein Gutachten ist ein Gutachten ist ein Gutachten


Ich zitiere hier mal, was der Erzbischof von Köln Rainer Maria Woelki in einer Predigt im September 2019 sagte: "Manchem ist die Kirche ein rein soziologisches Gebilde geworden, das sich – geschlechtergerecht – dem politischen und gesellschaftlichen Mainstream anzupassen habe. Wie in einem Parlament ist man bei der Vorbereitung, unter Hinweis auf angeblich neuere wissenschaftliche Erkenntnisse – insbesondere der Sozial- und Humanwissenschaften – über Glauben und Lehre der Kirche – wie Politiker – zu verhandeln, sie zur Disposition zu stellen, um dann mit demokratisch gefassten Mehrheitsbeschlüssen eine sog. Reform der Kirche herbeizuführen..." Die Kirche sei jedoch nicht menschengemacht, sie sei "von Christus gestiftet".


Auf die Schnelle hat der gute Hirte mit Kardinalshut einen Pappkameraden aus Holz gezimmert. Dass die Kirche ein "rein soziologisches Gebilde" ist, hatte niemand behauptet, wohl aber, dass Soziologie und Politikwissenschaft in einem Diskurs um Macht und Machtmissbrauch wichtige Perspektiven beizutragen haben. Doch das nur nebenbei.


In den vergangenen Wochen dürften in der Führungsetage des von Christus gestifteten Erzbistums Köln einige Menschen ein Dauer-Krisengesprächsgesicht aufgesetzt haben. Ein angekündigtes Gutachten, das Vertuscher sexuellen Missbrauchs namentlich benennen sollte, erscheint nicht. Statt dessen gibt es das Gutachten des Gutachtens, und die Ankündigung eines neuen Gutachtens. Nach Informationen der mutmaßlich auch gottessohnlich gegründeten Pressestelle sind oder waren mit dem, was die Wahrheit sein soll, vier Kanzleien und zwei universitäre Strafrechtler beschäftigt. Begutachtet werden soll das Verhalten der Verantwortlichen nach rechtlichen, nicht nach ethischen Maßstäben.


Dreifaltig kompetent: Straf-, Äußerungs- und Presserechtler in einer Person


Ich bin mir jetzt sicher, was Jesus beruflich machte und ausgerechnet das Erzbistum Köln hat zu dieser Erkenntnis beigetragen. Er war tatsächlich weder Wanderprediger noch Polito- noch Soziologe.


Jesus war Jurist. Dreifaltig kompetent. Straf-, Äußerungs- und Presserechtler in einer Person. Was er sagte, ob auf dem Berg oder am Abendmahlstisch, war stets gerichtsfest und jeder, der sich auf ihn beruft, verkündete die Wahrheit und nichts als die Wahrheit nach vorausgegangener Rechtmäßigkeitskontrolle. Moral hatte der Kirchenstifter nicht, Ethik brauchte er nicht.


Zimmermann Josef lag mit seiner Verdachtsberichterstattung richtig: Jesus hat wirklich nichts Anständiges zustande gebracht. Diese Kirche, die er gestiftet hat, ist ein rein juristisches Gebilde.


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